Rz. 105

Mit zunehmender Digitalisierung stellt sich immer häufiger die Frage nach der Behandlung des sogenannten "Digitalen Nachlasses". Was passiert, wenn der Erblasser noch kurz vor seinem Tod online eine kostspielige Reise gebucht hat, die storniert werden muss oder sein E-Mail-Postfach voller offener Rechnungen und Mahnungen ist? Oft ist es für die Hinterbliebenen essentiell, raschen Überblick und Zugriff auf alle Online-Verbindungen zu erhalten.[46]

 

Rz. 106

Zu klären ist zunächst die Frage, ob die konkret angesprochene Rechtsposition überhaupt vererbbar ist. Grundsätzlich sind alle vermögensrechtlichen Positionen vererbbar.[47] Eine Klassifizierung der einzelnen Online-Dienste erweist sich jedoch als nicht unproblematisch. So gehen Teile der Literatur davon aus, dass die Rechte und Pflichten aus dem E-Mail-Vertrag wie bei jedem anderen schuldrechtlichen Vertrag vererbbar sind. Andererseits wurde vertreten, dass es sich bei dem E-Mail-Konto um eine dem Girokonto vergleichbare Rechtsposition handelt, dass also die bloße Kontoinhaberschaft als nichtvermögensrechtliche Position nicht vererbbar ist.[48]

 

Rz. 107

Auch das Fernmeldegeheimnis spielt eine Rolle. Dieser aus Art. 10 GG herzuleitende Schutz endet in dem Moment, in dem die Mitteilung beim Empfänger angekommen oder der Übertragungsvorgang beendet ist.[49] Insbesondere bei E-Mails ist durchaus zwischen denjenigen zu unterscheiden, die bereits durch den Erblasser abgerufen wurden, und solchen, die noch auf dem Mailserver des E-Mail-Anbieters liegen. Auch eine Unterscheidung zwischen privaten und geschäftlichen E-Mails erscheint notwendig. Bereits abgerufene E-Mails, die auf dem PC gespeichert werden, sollen dem Eigentümer des PCs, also dem Erben, zustehen.[50] Insofern wird die Überlegung des Erblassers relevant, wer später Eigentümer des PCs werden und somit Zugriff auf bereits abgerufene E-Mails haben soll. Hinsichtlich E-Mails, die sich noch auf dem Mailserver befinden, kann sich ein Herausgabeanspruch bei Vertragsbeendigung durch die Erben bzw. ein vertraglicher Primäranspruch auf Übertragung durch Vertragsübernahme der Erben ergeben.

 

Praxishinweis

Für geschäftliche E-Mails gilt hier nichts anderes.[51] Probleme bilden sich dort, wo private und geschäftliche E-Mails in einem Account zusammenfallen. Häufig ist eine Trennung dieser beiden Bereiche nicht ohne (möglicherweise unzulässige) Kenntnisnahme zu vollbringen. Es empfiehlt sich daher, zwei separate Konten für Privates und Geschäftliches einzurichten.

 

Rz. 108

Insbesondere der private Schriftverkehr erfolgt heute überwiegend über soziale Netzwerke. Im Falle eines nach einem U-Bahn-Unfall verstorbenen Mädchens im Jahr 2015 stellte sich für die Eltern die bedeutsame Frage, inwieweit sie Zugriff auf den Facebook-Account ihrer Tochter erhalten würden, um Antworten über deren Tod zu suchen. Der BGH billigte ihnen einen Anspruch gegen Facebook auf Zugang zu dem Profil der Tochter und sämtlicher ihr zugeordneter Daten zu.[52] Das Gericht stellte klar, dass der Erbe aufgrund des in § 1922 BGB geregelten Grundsatzes der Universalsukzession grundsätzlich uneingeschränkt in die Rechtsbeziehungen des Erblassers eintritt. Dies gelte auch für Rechtsbeziehungen mit Providern. Es gäbe insbesondere keinen Grund, den digitalen Nachlass anders zu behandeln als den analogen Nachlass.

 

Rz. 109

Erben eines Nutzers von Online-Dienstleistungen haben demnach grundsätzlich dieselben vertraglichen Ansprüche wie der Erblasser selbst, vor allem im Hinblick auf Zugangsverschaffung, Herausgabe der Daten sowie Datenlöschung. Die Vererblichkeit einer Vertragsbeziehung kann auch weder durch AGB ausgeschlossen werden noch handelt es sich um ein höchstpersönliches Rechtsverhältnis, dessen Vererbung ausgeschlossen ist.

 

Praxistipp

Der Testamentsvollstrecker sollte sich nicht mit der Praxis mancher Plattformbetreiber zufriedengeben, die lediglich Daten herausgeben wollen, sondern auf den vollen Zugang zum Account bestehen. Denn der Nutzungsvertrag über ein Plattform-Konto zwischen einem Erblasser und einem Plattformanbieter geht mit allen seinen Rechten und Pflichten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben über. Diese treten hierdurch in das Vertragsverhältnis ein und haben deshalb als Vertragspartner und neue Kontoberechtigte einen Primärleistungsanspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto des Erblassers sowie den darin enthaltenen digitalen Inhalten. Aus dieser Stellung der Erben und dem auf sie übergegangenen Hauptleistungsanspruch des Erblassers aus dem mit dem Plattformbetreiber bestehenden Vertragsverhältnis folgt, dass den Erben auf dieselbe Art und Weise Zugang zu dem Benutzerkonto zu gewähren sei wie zuvor dem Erblasser. Die Überlassung eines USB-Sticks mit einer umfangreichen PDF-Datei genügt hierfür nicht.[53]

 

Rz. 110

Dies gilt auch in Bezug auf die bei Facebook ausgetauschten Nachrichten mit anderen Nutzern. Kein Nutzer kann darauf vertrauen, dass der Absender oder Empfänger der Nachricht diese nicht Dritten offenlegt. Er mus...

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