Rz. 25

Der BGH stellt bei seiner Prüfung essentiell auf die Testierfreiheit und die legitime Sorge von Eltern für ihre behinderten "Kinder" ab. Es gebe für die Tragung der besonderen Lasten, die mit der Erziehung und Betreuung behinderter Kinder verbunden seien, ein gesetzliches System im Sozialrecht,[59] das den Zugriff auf Eltern als Unterhaltsschuldner weitgehend ausschließe und der Allgemeinheit aufbürde. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass der darin liegende Familienlastenausgleich Vermögen und Einkommen der Eltern nur lebzeitig schonen wolle. Dafür soll auch das "beredte Schweigen" des Gesetzgebers in den letzten Jahrzehnten sprechen.[60] Es ist aber fraglich, ob eine unterlassene Regelung im SGB XII zur Verschonung von erbrechtlichen Zuflüssen an "Kinder" mit Behinderung eine solche Schlussfolgerung wirklich zulässt. Man kann auch genau andersherum argumentieren.

 

Rz. 26

Wenn diese Gründe aber das Fundament sind, auf dem das Behindertentestament steht, dann fehlt bisher jede fundierte und differenzierte Auseinandersetzung darüber, ob es sich nur auf pflichtteilsberechtigte "Kinder“ mit Behinderung bezieht und warum es bei sonstigen erbrechtlich Begünstigten mit und ohne Behinderung ohne weiteres tragen soll. Zumindest fehlt die fundierte Diskussion darüber, ob und ggf. in welchem Umfang es eigentlich auf das Verwandtschaftsverhältnis, die elterliche Sorge oder die Behinderung im Einzelfall ankommen kann. Testamente für andere Bedürftige wie z.B. im SGB II, SGB VIII lassen sich nicht auf diese Argumentation stützen. Die Entscheidung des BSG zum Kindergeldzuschlag scheint darauf hinzudeuten, dass bei einer "rein gewillkürten Erbeinsetzung", also beim Fehlen einer Eltern-Kind-Beziehung, erst recht keine Sittenwidrigkeit in Betracht kommt.[61] Letztlich hat das BSG eine Sittenwidrigkeit aber dahingestellt sein lassen, weil mangels Dauertestamentsvollstrecker keine "bereiten" Mittel i.S.d. Rechtsprechung des BSG vorlagen. Die rechtlich zwingende Bedeutung einer pflichtteilsrechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erben ist daher bisher nicht sicher aufgearbeitet."

[59] Zur Ausdehnung vgl. das am 1.1.2020 in Kraft getretene Angehörigenentlastungsgesetz in § 94 Abs. 1a SGB XII.
[61] BSG v. 17.2.2015 – Az.: B 14 KG 1/14 R m. Anm. in DNotI-Report 2015, 166 ff.

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