Rz. 73

Ein im medizinischen Bereich völlig weisungsfrei arbeitender Chefarzt ist haftungsrechtlich als verfassungsmäßig berufener Vertreter des Trägers zu behandeln. Das gilt – bei Erfüllung dieser Kriterien – nicht nur für den ärztlichen Direktor, sondern auch für den Leiter einer nichtselbstständigen Klinik.[104] Der Chefarzt wäre ohne abweichende Vereinbarung für seine dienstliche Tätigkeit damit schon kraft Gesetzes nach § 102 VVG mitversichert. Diese Vorschrift kann jedoch vertraglich abbedungen werden.[105] Vertreter und leitendes Personal werden daher regelmäßig nochmals ausdrücklich in den Krankenhauspolicen als mitversichert aufgeführt.

 

Rz. 74

Erbringt der selbst liquidierende Chefarzt Wahlleistungen, so ist seine Haftung und damit auch sein Versicherungsschutz differenziert zu beurteilen. Bei der stationären Behandlung vereinbart der Patient auch bei einer Wahlleistungsvereinbarung im Zweifel einen totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag (siehe Rdn 41). Der Krankenhausträger haftet dann ohnehin gesamtschuldnerisch neben dem Chefarzt.[106] Abweichend vom Regelfall des Arztzusatzvertrages kann der Patient aber auch ausdrücklich einen gespaltenen Arzt-Krankenhaus-Vertrag (siehe Rdn 42) vereinbaren. Der Chefarzt wird dann ausschließlich im Rahmen seiner eigenen Verpflichtung tätig und kann nicht als Organ oder Gehilfe des Krankenhausträgers angesehen werden. Vertraglich und deliktisch haftet allein der Chefarzt für die von ihm zu erbringende Wahlarztleistung.[107] Eine solche Vertragskonstruktion ist aber heute praktisch nicht anzutreffen. Bei den verschiedenen denkbaren Formen der ambulanten Behandlung im Krankenhaus durch den Chefarzt kommt neben dessen deliktischer Haftung auch eine Vertragshaftung in Betracht (siehe Rdn 43). Der persönliche Versicherungsschutz des Chefarztes durch die Betriebshaftpflichtversicherung muss wegen der Vielzahl der denkbaren Konstellationen im Einzelfall der jeweiligen Krankenhauspolice entnommen werden. Ist z.B. der Chefarzt oder der Oberarzt ermächtigt, ambulante MRT-Leistungen zu erbringen und nimmt insoweit an der vertragsärztlichen Versorgung teil, bedarf er gesonderten Versicherungsschutzes.

 

Rz. 75

Zur freiberuflichen Tätigkeit des Chefarztes oder des Oberarztes, die im Rahmen des Betriebshaftpflichtversicherungsvertrages mit dem Krankenhausträger zweckmäßigerweise mit abgesichert werden, gehören z.B. alle gelegentlichen außerdienstlichen ärztlichen Tätigkeiten, ­regelmäßig Sachverständigentätigkeit, Notarzteinsätze, Praxisvertretungen, Sonntags- und Notfalldienst, aber auch unentgeltliche ärztliche Tätigkeit im Rahmen der Betreuung von Verwandten. Es obliegt der Prüfungspflicht des Arztes oder seines beratenden Anwaltes, genau auf den Umfang der mitversicherten Tätigkeit zu achten und die außerdienstliche Tätigkeit gesondert zu versichern.

 

Rz. 76

Die Frage der Mitversicherung stellt sich beim Ausgleich zwischen den Gesamtschuldnern. Der Kläger ist in seiner Entscheidung frei, wen er verklagt. Je nachdem, ob er den Chefarzt und/oder den Krankenhausträger in Anspruch nimmt, kann der Gesamtschuldnerausgleich im Wege des Regresses oder der Freistellung erfolgen. Ist der Chefarzt nicht mitversichert, haftet er neben dem Träger im Zweifel nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB zur Hälfte.

 

Beachte

Diese persönliche gesetzliche Haftpflicht einzelner angestellter Ärzte aus freiberuflicher ambulanter und/oder stationärer Wahlleistungstätigkeit ist in der Krankenhaushaftpflichtversicherung nicht automatisch mitversichert, aber gegen eine Zuschlagprämie mitversicherbar. Hat der Krankenhausträger eine solche Zusatzversicherung nicht abgeschlossen, so muss der Chefarzt diese Deckungslücke durch eine persönliche Haftpflichtversicherung schließen.

 

Rz. 77

Während bei beamteten Ärzten die Staatshaftung nach § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht nur die normale dienstliche Tätigkeit, sondern auch die Wahlleistungstätigkeit des selbst liquidierenden beamteten Arztes erfasst,[108] bedarf auch der selbst liquidierende beamtete Arzt für die ambulante Tätigkeit im Rahmen der Chefarztambulanz eines gesonderten Deckungsschutzes entweder durch einen gesonderten Versicherungsvertrag oder durch Beitragszuschlag im Rahmen der bestehenden Betriebshaftpflichtversicherung.

[104] BGH NJW 1980, 1901 (1902).
[105] Prölss/Martin-Lücke, § 102 Rn 23.
[106] BGHZ 65, 63 (68).
[107] BGHZ 121, 107 (112); BGH NJW 1975, 1463 (1465).
[108] BGH NJW 1984, 1400.

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