Rz. 140

Die Pflicht, in Verfahren nach dem HKÜ einen Verfahrensbeistand[443] einzuschalten, ergibt sich weder aus § 158 FamFG (bisher § 50 FGG) noch aus dem HKÜ selbst.

Geklärt ist, dass sich im Falle einer gegenläufigen Entführung aus Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG die Pflicht ergibt, das Kindeswohl verfahrensrechtlich dadurch zu sichern, dass den Kindern ein Verfahrensbeistand zur Seite gestellt wird. Das gilt insbesondere dann, wenn die Eltern das Verfahren im eigenen Interesse führen und das Interesse der Kinder deshalb nicht in einer den Anforderungen des rechtlichen Gehörs genügenden Weise Berücksichtigung finden kann.[444]

Auch bei einfachen Entführungen kann verfassungsrechtlich eine Verfahrensbeistandsbestellung im Einzelfall erforderlich werden, wenn der zurückgelassene Elternteil das Interesse seiner Kinder aus dem Blick verlieren könnte.[445] Dies liegt insbesondere auf Seiten des entführenden Elternteils nahe; anderenfalls hätte dieser das Kind nicht ohne Zustimmung des zurückgelassenen Elternteils in ein anderes Land verbracht oder es dort zurückgehalten.

De lege ferenda sollte der Gesetzgeber im IntFamRVG klarstellen, dass dem Kind in HKÜ-Rückführungsverfahren ein insoweit erfahrener Verfahrensbeistand zu bestellen ist, wenn es auf seine Wünsche, Bindungen und Neigungen ankommt.[446] Dem Verfahrensbeistand kann – unabhängig vom Alter des Kindes – auch eine wesentliche Rolle bei der gütlichen Einigung zukommen.

Aufgrund der erheblichen Besonderheiten der HKÜ-Rückführungsverfahren, aber auch allgemein grenzüberschreitender Familienrechtsfälle, sollten Verfahrensbeistände, die auf diesen Gebieten tätig werden wollen, hierfür spezifisch geschult sein. Die Möglichkeit einer Zertifizierung zum Verfahrensbeistand für grenzüberschreitende Kindschaftsrechtsfälle sollte daher geschaffen werden.[447]

[443] Dazu im Zusammenhang mit dem HKÜ Carl, FPR 2006, 39; Bergida, RdJB 2009, 159.
[444] BVerfG FamRZ 1999, 777; 1999, 85.
[445] BVerfG FamRZ 2006, 1261, Anm. Menne, ZKJ 2007, 111; Anm. Schulz, FamRBint 2007, 10; Anm. Völker, jurisPR-FamR 12/2007, Anm. 3; hierzu (im Einzelfall jeweils abgelehnt) OLG Stuttgart FamRZ 2009, 2017; OLGR 2009, 402; OLG Düsseldorf FamRZ 2008, 1775; OLG Karlsruhe OLGR 2006, 344; zum Ganzen auch Völker, FamRZ 2010, 157, 164.
[446] So die Empfehlung 1a des Arbeitskreises 23 des 20. Deutschen Familiengerichtstages.
[447] So die Empfehlung 9 des Arbeitskreises 23 des 20. Deutschen Familiengerichtstages.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge