Rz. 272

Unter den gleichen Voraussetzungen, unter denen eine Vernehmung des Zeugen durch einen beauftragten Richter möglich ist, kann dieser nach § 375 ZPO auch durch einen ersuchten Richter eines anderen Gerichts, regelmäßig des Wohnsitzgerichts des Zeugen, vernommen werden, wenn anzunehmen ist, dass das Prozessgericht das Beweisergebnis auch ohne den unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme und dem Erleben des Zeugen sachgerecht zu würdigen vermag und die weiteren noch darzustellenden Voraussetzungen vorliegen.

 

Rz. 273

 

Hinweis

Von dieser Art der Vernehmung durch ein Rechtshilfegericht sollte – soweit sich der Zeuge im Inland befindet – nur selten Gebrauch gemacht werden. Die Praxis zeigt, dass die Protokolle der Vernehmung eines Zeugen im Wege der Rechtshilfe regelmäßig den Sach- und Streitstand nicht vollständig durchdringen und damit im Ergebnis nicht zu befriedigen vermögen. Im Hinblick auf den mit einer Vernehmung im Wege der Rechtshilfe verbundenen Zeitverlust wird gleichwohl in der Praxis häufig von einer erneuten Ladung des Zeugen vor das Prozessgericht abgesehen. Nicht zuletzt, weil die Parteien selbst auf einen zügigen Abschluss des Verfahrens drängen. Diese Praxis im stillen Einverständnis aller Prozessbeteiligten ist auch im Hinblick auf das Prozessergebnis abzulehnen. Rechtlich ist die Situation eindeutig: Liegt die Voraussetzung, dass das Prozessgericht auch ohne einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen entscheiden kann, nicht vor, ist die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht zu wiederholen.[181]

 

Rz. 274

Die Beweisaufnahme in Form der Vernehmung eines Zeuge im Wege der Rechtshilfe sollte deswegen auf absolute Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen der Zeuge als Beweismittel sonst gänzlich unzugänglich bleibt. In Zeiten hoher Mobilität und unter Berücksichtigung der vollen Kostenerstattung für den Zeugen dürften nur in seltenen Fällen einer unmittelbaren Vernehmung vor dem Prozessgericht zwingende Gründe entgegenstehen. Dabei mag im Einzelfall auf die besonderen zeitlichen Probleme des Zeugen durch die Wahl der Terminzeit Rücksicht genommen werden.

 

Rz. 275

 

Tipp

Auch in diesen Konstellationen kann es grundsätzlich ratsam sein, zunächst die schriftliche Beantwortung der Beweisfrage anzuregen. Dabei sollte vorgeschlagen werden, dass der Zeuge darauf hingewiesen wird, dass von einer detaillierten und ausführlichen Beantwortung der Beweisfrage abhängig ist, ob seine weitere Ladung erforderlich ist. Dabei können dem Zeugen auch Hinweise gegeben werden, welchen Aspekten seiner Aussage besondere Bedeutung zukommt.

 

Rz. 276

 

Beispiel

In einer Verkehrsunfallsache ist keine detaillierte Aussage des Zeugen zur Feststellung von Anknüpfungspunkten für eine verkehrsanalytische Begutachtung zu erwarten, wenn die Beweisfrage lediglich dahingeht, "über Ursache und Hergang des Verkehrsunfallereignisses am 15. Mai in Koblenz auf der August-Horch-Str." Beweis zu erheben.

Hier sollte dem Zeugen konkret mitgeteilt werden, dass es darauf ankommt, dass er Angaben zu den Geschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge und zu erkennbaren Abständen macht. Es kann darauf hingewiesen werden, dass der Zeuge eine Unfallskizze fertigt. Je nach Unfallgestaltung sollten dem Zeugen dann auch konkrete Fragen gestellt werden: "… insbesondere zu der Behauptung, dass der Beklagte angefahren sei, als der Kläger sich lediglich noch etwa drei Autolängen von der Einfahrt entfernt befunden habe ...".

 

Rz. 277

Neben der in der Praxis festzustellenden Tendenz, dass die Vernehmung eines Zeugen im Wege der Rechtshilfe häufig unzureichend bleibt, weil der ersuchte Richter sich nicht derart intensiv mit dem Sach- und Streitstand sowie der daraus resultierenden Rechtslage auseinandersetzt wie das Prozessgericht, sind mit der Vernehmung eines Zeugen im Wege der Rechtshilfe weitere Nachteile verbunden.

 

Rz. 278

Der Bevollmächtigte der Partei muss zur Wahrnehmung seines Fragerechtes nach § 397 ZPO selbst zum Rechtshilfegericht reisen, wodurch weitere Kosten entstehen und regelmäßig erhebliche Zeit in Anspruch genommen wird. Will der Bevollmächtigte diese Belastung nicht auf sich nehmen, können die Prozesssituation und die Bedeutung des Zeugen erfordern, dass am Ort des Rechtshilfegerichts ein weiterer Prozessbevollmächtigter beauftragt wird. Ungeachtet der damit verbundenen zusätzlichen Kosten muss dieser auch intensiv auf den Beweisaufnahmetermin vorbereitet werden, insbesondere auf die für den Mandanten maßgeblichen Fragestellungen, wenn die Beauftragung des weiteren Bevollmächtigten nicht nur eine Förmlichkeit bleiben soll.

 

Rz. 279

Will der Bevollmächtigte weder selbst zum Rechtshilfegericht reisen noch einen anderen Bevollmächtigten am Ort des Rechtshilfegerichts beauftragen, geht er seines Fragerechtes nach § 397 ZPO insoweit verlustig. Gleichwohl zeigt sich diese dritte Variante in der Praxis als Regelfall.

 

Rz. 280

 

Tipp

Soweit in Absprache mit der Partei weder eine Reise zum Rechtshilfegericht durchgeführt noch ein dortiger Prozessbev...

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