Rz. 47

Zeigt sich erst während des gerichtlichen Verfahrens, dass die Notwendigkeit besteht, weitere Urkunden, Akten oder Augenscheinsobjekte vorzulegen, und befinden sich diese nicht im Besitz des Mandanten, sondern eines Dritten oder der gegnerischen Partei, so eröffnen die §§ 142144 ZPO den Bevollmächtigten besondere Möglichkeiten.

 

Rz. 48

Nach § 142 ZPO kann das Gericht anordnen, dass entweder eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder in seinem Besitz befindlichen Urkunden oder sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Die Vorlagepflicht besteht dabei selbstverständlich nur dann, wenn die Bezugnahme eine erhebliche Tatsache betrifft. Für die Vorlage der Urkunde kann das Gericht eine Frist bestimmen. So kann das Gericht etwa die Vorlage ärztlicher Unterlagen eines behandelnden Arztes als Dritten anordnen.[16] Auch der Insolvenzverwalter kann als Dritter zur Vorlage von Urkunden der Gemeinschuldnerin verpflichtet werden.[17] § 142 Abs. 1 ZPO ist auch anwendbar, wenn sich der beweispflichtige Prozessgegner auf eine Urkunde bezogen hat, die sich im Besitz der nicht beweisbelasteten Partei befindet.[18]

 

Rz. 49

Die Bezugnahme muss aber in einer konkreten Behauptung bestehen, die durch die herausverlangte Urkunde lediglich nachgewiesen werden soll. § 142 ZPO dient nicht dazu, einer Partei die Darlegungslast dadurch zu erleichtern, dass das Gericht eine Ausforschung betreibt. Das Gericht ist deshalb nicht gehalten, auf den Vortrag einer Partei, weiterer, die Schlüssigkeit der Klage herbeiführender Vortrag befinde sich in bei ihr und bei dem Prozessgegner verfügbaren Aktenordnern, die Vorlage dieser Akten anzuordnen.[19]

 

Rz. 50

Die vom OLG Frankfurt[20] und im Schrifttum[21] vertretene Auffassung, nach welcher der nicht beweisbelasteten Partei die Vorlage einer in ihrem Besitz befindlichen Urkunde zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nicht von Amts wegen nach § 142 Abs. 1 ZPO, sondern nur unter den Voraussetzungen der §§ 422, 423 ZPO aufgegeben werden kann, hat der BGH verworfen.[22] Nach dieser Ansicht käme es aus Sicht des BGH zu einer nicht auflösbaren Diskrepanz zu den §§ 422, 423 ZPO, wenn § 142 Abs. 1 ZPO in diesen Fällen eine Anordnung allein deswegen rechtfertigen würde, weil die beweispflichtige Partei sich auf die Urkunde bezogen hat. Eine solche Einschränkung des Anwendungsbereiches sei mit dem eindeutigen Wortlaut des § 142 Abs. 1 ZPO unvereinbar. Die Vorschrift ist danach unabhängig davon anwendbar, welche Partei sich auf die Urkunde bezogen hat. Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Nach den Gesetzesmaterialien kann die Bezugnahme auch durch den beweispflichtigen Prozessgegner erfolgen, ohne dass diesem ein materiell-rechtlicher Herausgabe- oder Vorlegungsanspruch zustehen muss.[23] Darüber hinaus besteht der behauptete Wertungswiderspruch zu den §§ 422, 423 ZPO nicht. Diese Vorschriften behalten auch dann ihren eigenständigen Anwendungsbereich, wenn man für eine Vorlegungsanordnung von Amts wegen entsprechend dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 ZPO die Bezugnahme der beweispflichtigen Partei auf eine im Besitz des Prozessgegners befindliche Urkunde ausreichen lässt. Die §§ 422, 423 ZPO begründen bei Vorliegen ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen eine unbedingte Vorlegungspflicht des Prozessgegners. Außerdem zieht die Nichtvorlegung ggf. die speziellen Rechtsfolgen des § 427 ZPO nach sich. Dagegen steht die Anordnung der Urkundenvorlegung gem. § 142 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts.[24] Bei seiner Ermessensentscheidung kann es den möglichen Erkenntniswert und die Verhältnismäßigkeit einer Anordnung, aber auch berechtigte Belange des Geheimnis- und Persönlichkeitsschutzes berücksichtigen. Die Nichtbefolgung einer Anordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO ist anders als bei den §§ 422, 423 ZPO nicht mit einer speziellen Sanktion bewehrt, sondern lediglich gem. §§ 286, 427 S. 2 ZPO frei zu würdigen. Schließlich liegt in der Anwendung des § 142 Abs. 1 ZPO in diesen Fällen auch keine prozessordnungswidrige Ausforschung des Prozessgegners. Die Vorschrift befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast. Dem entsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum bloßen Zwecke der Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags der Partei anordnen.

 

Rz. 51

 

Hinweis

Bei der Zurückweisung des Antrags auf Anordnung der Vorlage einer Urkunde durch den Gegner handelt es sich um eine Maßnahme der Verfahrensleitung, die dementsprechend nicht selbstständig mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann.[25] Die Zurückweisung des Antrags ist vielmehr als Defizit der Sachverhaltsaufklärung mit der Berufung geltend zu machen.

 

Rz. 52

In gleicher Weise kann das Gericht nach § 143 ZPO anordnen, dass die Parteien eine in ihrem Besitz befindliche Akte vorlegen, soweit diese aus Schriftstücken besteht, welche die Verhandlung und Entscheidung der Sache betreffen.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge