1. Beginn und Dauer des Versicherungsschutzes

 

Rz. 181

Der Versicherungsschutz beginnt im Grundsatz mit der Einlösung des Versicherungsscheins, also dem Eingang der Prämie auf dem Konto des Versicherers, es sei denn, die Parteien des Versicherungsvertrages haben eine abweichende Vereinbarung getroffen.

 

Rz. 182

Versicherungsschutz besteht für die festgelegte Vertragsdauer. Versicherungsverträge verlängern sich jeweils um ein Jahr, wenn sie nicht spätestens drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt werden. Dieses Prinzip ist auch unter dem englischen Synonym "Tacid Renewal" bekannt. Verträge mit dreijähriger Laufzeit werden für diese Dauer entsprechend festgeschrieben und verlängern sich zum Ablaufdatum ebenso automatisch, sofern nicht gekündigt wird.

Da es sich um eine Pflichtversicherung handelt, sind ergänzend zu den allgemeinen Bestimmungen des VVG die §§ 113 ff. VVG zu beachten. Hiernach besteht auch bei unterlassener Prämienzahlung Dritten gegenüber Versicherungsschutz noch für die Dauer eines Monats, nachdem der Versicherer gem. §§ 37, 38 VVG leistungsfrei geworden ist und dies der zuständigen Stelle (der jeweiligen Rechtsanwaltskammer) angezeigt hat.

2. Verstoßprinzip

 

Rz. 183

Für die Berufs-Haftpflicht typisch ist es, dass Haftpflichtansprüche nicht sofort geltend gemacht werden (können), weil sich der durch eine anwaltliche Pflichtverletzung verursachte Schaden oftmals erst nach mehreren Jahren zeigt; bei Anwälten ist dies durchschnittlich ein Zeitraum von drei bis vier Jahren, der sich aber auch auf bis zu 15 und mehr Jahre ausdehnen kann. Der Anwalt, der seine/n Mandantin/en im Rahmen z.B. einer Ehescheidung berät und vertritt, übersieht einen wesentlichen Punkt z.B. betreffend den Versorgungsausgleich; dieser Fehler wirkt sich aber ggf. erst in 20 oder mehr Jahren aus und wird erst dann von der/dem Mandanten/in wahrgenommen. Deckung besteht grundsätzlich, immer ausgehend vom Zeitpunkt der Pflichtverletzung des Anwalts, um so mögliche Schadenersatzansprüche geschützter Dritter nicht zeitlich ins Leere laufen zu lassen.

Der Versicherungsfall in der Berufs-Haftpflichtversicherung des Anwalts, Wirtschaftsprüfers, Steuerberaters und Notars ist der Verstoß,[465] der Haftpflichtansprüche zur Folge haben könnte. Unter dem Verstoß versteht der Gesetzgeber gem. § 51 BRAO die Pflichtverletzung des Anwalts. Diese allein ist Anknüpfungspunkt für den Versicherungsschutz. Grundsätzlich unbeachtlich für den Versicherungsschutz ist daher der Zeitpunkt, zu dem der Geschädigte seinen Anspruch geltend macht, mag dies auch erst Jahre nach Aufgabe der Berufstätigkeit bzw. Rückgabe der Zulassung geschehen. Für die Haftung des Anwalts seinem Mandanten gegenüber kann der Zeitpunkt der Geltendmachung sehr wohl relevant werden, nämlich dann, wenn dieser ggf. bereits verjährt sein könnte (§ 51 BRAO – alt bzw. §§ 194 ff. BGB – neu).

 

Beispiel

Macht der Mandant im Jahre 2025 einen Schadenersatzanspruch gegen den Anwalt geltend, weil dieser ihn im Jahr 2008 beim Entwurf eines Gesellschaftsvertrages oder im Rahmen einer güterrechtlichen Angelegenheit pflichtwidrig falsch beraten habe, bestimmt sich der Umfang des Versicherungsschutzes ausschließlich nach dem Zeitpunkt des Verstoßes (im Beispiel: 2008). Es ist völlig unerheblich für die Deckung, ob der Versicherungsnehmer im Zeitpunkt der Inanspruchnahme (2025) noch Anwalt ist, oder der Anspruch evtl. gegen die Erben des ehemaligen Versicherungsnehmers geltend gemacht wird.

Unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten kann bei derartigen "Langläufern" ggf. eingewandt werden, dass der Anspruch des Mandanten gegen den Anwalt bereits verjährt ist.

Insofern ist das Prinzip sehr klar und transparent im Hinblick auch auf die grundlegende (zeitliche) Eintrittspflicht des Versicherers.

Hat der Anwalt im Beispielsfall den Versicherungsvertrag mit dem Versicherer A zum 1.1.2010 gekündigt und ist ab diesem Zeitpunkt zum Versicherer B gewechselt, so bleibt wegen des Verstoßprinzips gleichwohl der Versicherer A verpflichtet, für diesen Fall bedingungsgemäß Versicherungsschutz zur Verfügung zu stellen.

Konsequenterweise folgt aus dem Verstoßprinzip, dass auch der Deckungsumfang (Bedingungen und Deckungssummen) für den Versicherungsschutz maßgeblich ist, der für die Zeit vor dem Versichererwechsel vereinbart war.

Hat der Anwalt mit dem Versichererwechsel gleichzeitig – also ab 1.1.2010 – seine Deckungssumme je Versicherungsfall von zuvor 1 Mio. EUR auf 5 Mio. EUR angehoben, gilt im Beispielsfall gleichwohl die "alte" Deckungssumme (1 Mio. EUR).

Sollte sich der Schaden des Mandanten durch die besagte Pflichtverletzung des Anwalts im konkreten Beispiel auf 5 Mio. EUR belaufen, würde ihm der Versicherer A lediglich die zum Verstoßzeitpunkt vereinbarte Deckungssumme von 1 Mio. EUR zur Verfügung stellen. Versicherer B hätte sich – wie schon erläutert – mit diesem Schadenfall nicht zu befassen (zum insoweit möglichen Abschluss einer Rückwärtsversicherung, siehe unten Rdn 185).

[465] Abgesehen von Deutschland und Österreich gilt abweichend von dem Verstoßprinzip weltweit das so...

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