Rz. 5

Die VVG-Reform hat für die Pflichtversicherung der Anwälte kaum spezifische Veränderungen mit sich gebracht.

Der ursprünglich – wie in der Kraftfahrzeug-Haftpflicht – vorgesehene Direktanspruch des geschädigten Dritten gegen den Berufs- Haftpflichtversicherer des Anwalts[7] ist in der letzten Phase des Gesetzgebungsverfahrens auf ein Fragment "eingeschmolzen" worden.

Es bleibt grundsätzlich dabei, dass der Geschädigte den Versicherer des Anwalts nicht direkt in Anspruch nehmen kann. Er muss seinen vermeintlichen Haftpflichtanspruch zunächst unmittelbar gegen den Anwalt bzw. die Anwalts-Gesellschaft geltend machen und verfolgen. Erst nach rechtskräftiger Titulierung seines Schadenersatzanspruchs gegen den Rechtsanwalt sowie Pfändung und Überweisung dessen Deckungsanspruchs gegen den Berufs-Haftpflichtversicherer kann der Geschädigte daher unmittelbar den Haftpflichtversicherer des Anwalts auf Gewährung von Deckungsschutz in Anspruch nehmen.

In diesem Zusammenhang kann jedem "Beteiligten" an einem Haftpflichtfall (Anwalt, Geschädigter und Versicherer des Anwalts) nur geraten werden, Trennungsprinzip, Bindungswirkung und Voraussetzungsidentität[8] zu beachten. Grundsätzlich ist dem Trennungsprinzip folgend zu differenzieren zwischen der Haftung einerseits (Haftet der Anwalt? Auf welcher tatsächlichen und rechtlichen Grundlage?) und der Deckung (Besteht hierfür Versicherungsschutz?). Vor diesem Hintergrund stellt sich in entsprechenden Sachverhaltskonstellationen die Frage, ob das ­Gericht des Deckungsrechtsstreits an die Feststellungen des Gerichts des Haftungsrechtsstreits gebunden ist. Dies ist zu bejahen, wenn durch den Haftpflichtprozess eine Bindungswirkung aufgrund einer Voraussetzungsidentität von Tatbestandsmerkmalen/rechtlichen Bewertungen oder dgl. – eingetreten ist.[9]

 

Beispiel

Aus der Klageschrift ergibt sich, dass der Anwalt möglicherweise bewusst pflichtwidrig gehandelt hat und dem Mandanten dadurch ein Schaden entstanden ist. Der Versicherer sieht in dem Verhalten eine wissentliche Pflichtverletzung (siehe unten Rdn 59, 60). Das Gericht des Haftpflichtprozesses verurteilt den Anwalt zum Schadenersatz aus § 280 BGB – wegen schuldhafter Pflichtverletzung – und lässt die Frage des Verschuldensmaßstabs offen, weil dies für die Haftung irrelevant ist; denn § 280 BGB setzt nicht voraus, dass der Anwalt wissentlich oder gar vorsätzlich gehandelt hat.

Danach ist die Voraussetzungsidentität nicht gegeben und dementsprechend auch keine Bindungswirkung entstanden. Der Versicherer kann sich im Deckungsrechtsstreit auf den Ausschlusstatbestand der wissentlichen Pflichtverletzung berufen.

 

Rz. 6

Ein Direktanspruch des Geschädigten gegen den oder die Berufs-Haftpflichtversicherer des Anwalts bzw. der Anwälte einer Kanzlei ist ausnahmsweise nur in den Fällen und Grenzen des § 115 VVG möglich; also für die Fälle

der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers[10] oder
der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder
der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder
wenn der Aufenthaltsort des Versicherungsnehmers unbekannt ist.
 

Rz. 7

Seit Inkrafttreten der Neuregelung ist nur eine unbedeutende Anzahl von entsprechenden "Direktansprüchen" bekannt geworden. Die nach § 115 VVG vorgesehenen Ausnahmetatbestände werfen zahlreiche Fragen auf, die zu konkreten Detailfragen bisher weder in der Literatur[11] noch in der Rechtsprechung konkret behandelt bzw. beantwortet wurden.[12] Insbesondere die Problematik des Auseinanderfallens von Haftung des einzelnen Anwalts als Sozius oder Scheinsozius und der Sozietät (Gesellschaft, siehe unten Rdn 85 ff.) einerseits und der Rechtsstellung des Versicherungsnehmers und des Pflichtversicherten ist bis dato nicht gelöst. Da die Sozietät als Rechtsperson selbst nicht versicherungspflichtig ist, wohl aber der jeweilige Rechtsanwalt (§ 51 BRAO), kann § 115 VVG sich nur auf den einzelnen Anwalt beziehen, nicht aber auf die Sozietät. Andererseits hat die Sozietät bei den sog. Sozietätspolicen Versicherungsnehmerstellung. Dies sollte ­allerdings in Anbetracht der persönlichen Pflicht des Anwalts zum Abschluss einer eigenen Berufs-Haftpflichtversicherung zu vernachlässigen sein, wenn man unter den Begriff "Versicherungsnehmer" gem. § 115 VVG im Wege der Auslegung die Anwälte als die jeweils pflichtversicherten Personen subsumiert. Demgemäß könnte dann davon ausgegangen werden, dass die Versicherung der jeweiligen Sozien – auch über die sog. Sozietätspolice – das Haftungsrisiko der Gesellschaft einschließen.

Problematisch wird diese Auslegung dann aber für den Fall des unbekannten "Aufenthaltsortes" einer Sozietät oder einer Partnerschaftsgesellschaft, wenn man den jeweiligen Sozius oder Partner als Versicherungsnehmer – weil pflichtversicherte Person – betrachtet.

Vorerst ist damit zu rechnen, dass die praktische Bedeutung des Direktanspruchs gem. § 115 Abs. 1 VVG auch weiterhin gering bleiben wird.

Wesentlich r...

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