aa) Allgemeines

 

Rz. 75

Nunmehr hat der Gesetzgeber für alle Schadensfälle, die sich nach dem Inkrafttreten der Vorschrift am 22.7.2017 ereignet haben (Art. 229 § 43 EGBGB), für Angehörige von Unfallopfern eine Entschädigung der ihnen zugefügten immateriellen Nachteile eingeführt, unabhängig davon, ob sie eine Gesundheitsverletzung erlitten haben.

Zitat

Die Regelung findet sich in einem § 844 BGB angefügten Abs. 3 sowie gleichlautend in § 10 Abs. 3 StVG und weiteren Sondergesetzen mit Gefährdungshaftungstatbeständen (§ 5 Abs. 3 Haftpflichtgesetz, § 35 Abs. 3 Luftverkehrsgesetz, § 7 Abs. 3 Produkthaftungsgesetz, § 86 Abs. 3 Arzneimittelgesetz, § 12 Abs. 3 Umwelthaftungsgesetz, § 32 Abs. 4 Gentechnikgesetz, § 28 Abs. 3 Atomgesetz):

"Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war."

Dieser Anspruch soll sowohl für die deliktische Verschuldenshaftung gem. §§ 823 ff. BGB als auch für die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung nach Maßgabe des § 833 S. 1 BGB und der Sondergesetze gelten, nicht jedoch im Rahmen der Vertragshaftung (Wagner, NJW 2017, 2641).

bb) Anspruchsberechtigter Personenkreis

 

Rz. 76

Bewusst vermieden hat es der Gesetzgeber, den anspruchsberechtigten Personenkreis abschließend zu regeln. Dementsprechend hat er lediglich in Form von Regelbeispielen Ehegatten, Lebenspartner, Elternteil und Kind des Getöteten aufgenommen, bei denen ein Näheverhältnis (widerleglich) vermutet wird. Im Übrigen soll es nach der Gesetzesbegründung auf die "Intensität der tatsächlich gelebten sozialen Beziehung" ankommen (BT-Drucks 18/11397, 11).

Grundsätzlich kann somit jede Person anspruchsberechtigt sein, ohne dass es auf eine familienrechtliche Beziehung oder eine häusliche Gemeinschaft ankommt, also z.B. Geschwister, Stiefkinder oder Freunde. Das Adjektiv "besonders" deutet an, dass es sich um eine Steigerungsform handeln muss, die über die Tiefe und Intensität freundschaftlicher Verbindungen in der Sozialsphäre, also in Beruf, Sport und Freizeit, deutlich hinausgeht (Wagner, NJW 2017, 2641, 2644).

Aufgrund des Gesetzeswortlauts klar geregelt ist, dass das besondere Näheverhältnis bereits zum Zeitpunkt der Primärverletzung bestanden haben muss, während besondere Näheverhältnisse, welche erst im Zeitraum zwischen Primärverletzung und Todesfolge entstehen, nicht (mehr) zu einem Anspruch führen. Umgekehrt muss das Näheverhältnis allerdings zum Zeitpunkt des Todes noch immer bestehen (Huber, JuS 2018, 744, 746).

cc) Anspruchshöhe

 

Rz. 77

Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, die Höhe des Anspruchs in keiner Weise gesetzlich zu regeln, sondern zur Ermöglichung einer Einzelfallgerechtigkeit den Gerichten zu überlassen. Nach der Gesetzesbegründung erscheint deutlich, dass der Anspruch jedem einzelnen Hinterbliebenen zusteht, also auch vom Gericht für jeden Anspruchsberechtigten gesondert zuzusprechen ist (Wagner, NJW 2017, 2641, 2645). Umgekehrt soll allerdings beim Tode mehrerer Personen, zu denen ein besonderes Näheverhältnis besteht (z.B. unfallbedingtes Versterben eines Ehepaars), den Hinterbliebenen wie beim Schockschaden ein einheitliches Hinterbliebenengeld aufgrund einer Gesamtbetrachtung gewährt werden (Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 407).

Die Vorstellung des Gesetzgebers geht dahin, dass die Höhe der Entschädigung im Durchschnitt 10.000 EUR pro Hinterbliebenen betragen und sich an den Schmerzensgeldbeträgen orientieren soll, die für Schockschäden zugesprochen werden (BT-Drucks 18/11397, 10). Zu Recht infrage gestellt wird insoweit allerdings bereits der Ansatz des Gesetzgebers, wonach bei Schockschäden Schmerzensgelder in einer durchschnittlichen Größenordnung von 10.000 EUR zugesprochen würden (Müller, VersR 2017, 321, 325), während zutreffend eher eine Größenordnung von 3.000 – 5.000 EUR erscheint (Burmann/Jahnke, NZV 2017,401, 409; Quaisser, DAR 2017, 688, 691; Bredemeyer, ZEV 2017, 690 692).

Unterschiedlich sind dementsprechend die bisherigen Stimmen in der Literatur zur Höhe des Hinterbliebenengeldes:

Nach Wagner (NJW 2017, 2641, 2645) sollte für den im Gesetz genannten Personenkreis 10.000 EUR die Untergrenze darstellen, während er eine Obergrenze von 20.000 EUR befürwortet. Huber (JuS 2018, 744, 749) weist auf Walter (MedR 2018, 213, 217: 10.000–12.000 EUR), Katzenmeier (JZ 2017, 869, 876: 5.000–15.000 EUR) und Wagner (NJW 2017, 2641 2645: 5000–20.000 EUR) hin und führt zu Recht aus, der Rahmen dürfe jedenfalls nicht "beleidigend niedrig" sein.

Deutlich niedriger, nämlich in der vorgenannten Größenordnung des Schmerzensgeldes beim Schockschaden von 3.000–5.000 EUR, verorten verschiedene Literaturmeinungen die Höhe eines angemessenen Hinterbliebenengeldes (Nugel, zfs 2018, 72 77; Burmann/Jahnke, NZV 2017,401, 409). Aus ...

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