Rz. 53

Fraglich ist, was bei einer unberechtigten Vertretung geschieht. Es sind ohne weiteres Fälle denkbar, bei denen ein Widerspruch im ZVR nicht wahrgenommen wird (da die Einsichtnahme in das Register keine Pflicht für den Arzt ist) oder der vertretende Ehegatte einen entgegenstehenden Willen des vertretenen Ehegatten, eine Vorsorgevollmacht, eine Betreuung oder eine Trennung verschweigt oder vergessen hat.[82] Nicht ausgeschlossen ist auch, dass ein Arzt eine Erkrankung im Sinne des § 1358 BGB n.F. fälschlicherweise annimmt.

Aus der Systematik sowie aus Stellungnahmen des Bundestages und der Bundesregierung ergibt sich, dass dieses Problem gesehen und in Kauf genommen wurde. Es wird auf eine angeblich parallele Problematik bei gefälschten Vorsorgevollmachten verwiesen.[83]

 

Rz. 54

Für den Arzt und auch den vertretenden Ehegatten steht beim Fehlen der Voraussetzungen für das Ehegattenvertretungsrecht eine zivil- und strafrechtliche Haftung im Raum. Anders als bei einer Betreuung ist kein Rechtsakt (bei der Betreuung: Beschluss) für das Vertretungsrecht notwendig, da das Ehegattenvertretungsrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen abhängig ist. Lagen diese also nie oder nicht mehr vor, existierte das Vertretungsrecht nie oder entfällt.[84]

Handlungen unter Berufung auf das Vertretungsrecht erfolgten also ohne Vertretungsmacht. Bei körperlichen Eingriffen lag keine rechtfertigende Einwilligung vor. Daher kommt eine Strafbarkeit des Ehegatten ggf. in mittelbarer Täterschaft in Betracht.[85] Es wird in einem zweiten Schritt zu prüfen sein, ob die Handlungen anders gerechtfertigt oder entschuldigt waren.

 

Rz. 55

Die – nach hiesiger Ansicht auch rechtsstaatlich verfehlten – niedrigen Anforderungen an die Prüfungspflicht der Ärzte gibt diesen eine gewisse Sicherheit.[86] Die Gesetzesbegründung kann so verstanden werden, dass der Arzt sich ganz weitgehend auf die Angaben des vertretenden Ehegatten verlassen darf.

Nach hier vertretener Ansicht ist das zumindest fraglich, wenn für den Arzt (ggf. durch das Krankenhauspersonal) einfache Nachforschungen ohne weiteres möglich gewesen wären. Das kann die Anfrage beim ZVR über einen eingetragenen Widerspruch sein, eine Nachfrage beim Betreuungsgericht über das Bestehen einer Betreuung oder das Gespräch mit anderen, präsenten Angehörigen (z.B. Kindern) über Fragen der Trennung oder eines entgegenstehenden Willens des vertretenen Ehegatten.

Jedenfalls wenn der Arzt das in § 1358 BGB n.F. vorgegebene Verfahren eindeutig nicht eingehalten hat, ist für Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe kein Raum und er haftet wie bei anderen Eingriffen ohne Einwilligung des Patienten.[87] Eine direkte Sanktionierung durch eine eigene Strafbarkeits- oder Ordnungswidrigkeitsvorschrift gibt es nicht.[88]

 

Rz. 56

Selbst wenn der Arzt sorgfältig gearbeitet hat, aber der vertretende Ehegatte über die Voraussetzungen log oder irrte, hat der Arzt aus Erklärungen des vertretenden Ehegatten keinen vertraglichen Anspruch gegen den Ehegatten, den er behandelt hat. Er muss diesem gegenüber versuchen, auf Ansprüche aus § 812 BGB oder Geschäftsführung ohne Auftrag zurückzugreifen. Zudem muss er versuchen, Befriedigung bei dem angeblich vertretenden Ehegatten zu finden.[89] Strafrechtlich wird ein Rechtsirrtum nach § 17 StGB vorliegen.[90]

Dritten gegenüber wird die nach § 1358 Abs. 4 BGB n.F. vom Arzt ausgestellte Bescheinigung unberechtigterweise eine wesentliche Rolle spielen. Sie verleiht keine Vertretungsmacht,[91] sondern soll nur das Vorliegen ihrer Voraussetzungen dokumentieren. Dritte dürfen aber nach hiesiger Annahme auch nicht im Sinne eines Rechtscheins auf diese Bescheinigung vertrauen.[92] Ein Rechtschein darf nur denjenigen binden, der ihn auch gesetzt hat. Dies ist aber hier nicht der vertretene Ehegatte.

 

Wichtige Regelung

Die Bescheinigung des Arztes verleiht die Vertretungsmacht nicht und erzeugt auch keinen Rechtsschein.

 

Rz. 57

Ursächlich für eine falsche Bescheinigung können der vertretende Ehegatte oder der Arzt sein. Sie haben also einen Rechtsschein gesetzt. Die Haftung liegt bei ihnen. Ein Dritter darf sich also grundsätzlich an diese halten.[93] Das gilt aber nicht, wenn der Dritte es besser weiß. Ist dem Dritten also z.B. im Gegensatz zum Arzt bekannt, dass die Ehegatten getrennt sind, wird er nicht geschützt. Für Dritte, denen diese Bescheinigung vorgelegt wird, ist es also wichtig zu wissen, dass diese einem Betreuungsbeschluss und damit einem Betreuerausweis nicht gleichgestellt ist.

[82] Koller/Stahl, GesR 2021, 212, 217.
[83] BReg, BT-Drucks 19/24445 (Gesetzentwurf), 422, 480.
[84] Ähnlich: Koller/Stahl, GesR 2021, 212, 217.
[85] Lugani, MedR 2022, 91, 95.
[86] Vgl. auch Lugani, MedR 2022, 91, 98.
[87] Vgl. auch Lugani, MedR 2022, 91, 98.
[88] Kritisch: Szantay, NZFam 2021, 805, 808.
[89] Entsprechend: Lugani, MedR 2022, 91, 98 f.
[90] Koller/Stahl, GesR 2021, 212, 218.
[91] So auch Lugani, MedR 2022, 91, 95; Kraemer, BtPrax 2021, 208, 210; Szantay, NZFam 2021, 805, 808.
[92] Kraemer, BtPrax 2...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge