Rz. 46

In Vorbemerkung 4, Abs. 4 VV RVG ist geregelt, dass die Gebühren mit Zuschlag entstehen, wenn der Beschuldigte sich in Haft oder Unterbringung befindet. Bei den Gebühren mit Zuschlag ist die Höchstgebühr des Gebührenrahmens um 25 % gegenüber der Gebühr ohne Zuschlag angehoben worden, sodass sich eine höhere Mittelgebühr ergibt. Bei inhaftierten Mandanten hat der RA einen erhöhten Zeitaufwand, allein schon durch die Besuche in der Justizvollzugsanstalt. Auch im Hinblick auf eine psychologische Betreuung wird er stärker gefordert. Die Art von Haft spielt keine Rolle, es kann sich um Untersuchungshaft, Strafhaft, Polizeigewahrsam, Sicherungsverwahrung, Abschiebehaft oder Ordnungshaft handeln. Die Haft muss auch nicht mit dem gerade aktuellen Verfahren in Zusammenhang stehen, sondern kann in anderer Sache bestehen.

 

Rz. 47

Die Haft muss – zumindest teilweise – in den Zeitraum des Mandats fallen, in dem die Gebühren mit Zuschlag anfallen. Nur eine kurze Inhaftierung ist hierfür schon ausreichend. Der Haftzuschlag ist für jeden Verfahrensabschnitt zu prüfen, also für das Vorverfahren und für das Hauptverfahren jeweils für sich. Die Bedingung der Haft muss auch für jede einzelne Gebühr, also z. B. auch für jede einzelne Terminsgebühr bestehen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.08.2017 – 2 Ws 176/17).

So entsteht z. B. die Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) für die erstmalige Einarbeitung in den Fall und ist damit verdient. Auch wenn der Mandant erst später im Laufe des Verfahrens in Haft genommen wird, kann diese Gebühr mit Zuschlag entstehen. Für die Grundgebühr ist dies allerdings umstritten, so sieht z. B. das OLG Nürnberg das anders (OLG Nürnberg, Beschluss vom 30.05.2017 – 2 Ws 98/17).

Die Haft als solche ist kein gebührenerhöhender Umstand im Sinne des § 14 RVG, da dies bereits bei dem höheren Gebührenrahmen der Gebühren mit Zuschlag berücksichtigt ist. Also wird in der Regel auch bei Haft die Mittelgebühr der Gebühren mit Zuschlag berechnet.

 

Beispiel:

Weitere Abwandlung des vorstehenden Beispiels 1 aus Rdn 45. In der ersten Instanz ist Pinglich verurteilt worden. Er wechselt deshalb den Verteidiger. Pinglich erteilt RA Kräftich das Mandat zur Verteidigung in der Berufungsinstanz, obwohl dieser ihm von der Berufung abrät. RA Kräftich reicht die Berufungsbegründungsschrift fristgerecht beim Landgericht (kleine Strafkammer) ein. An der zweitägigen Hauptverhandlung nimmt RA Kräftich teil. RA Kräftich hat 73 Fotokopien angefertigt; die Akte wurde ihm über sein Gerichtsfach zugestellt.

Und nun das Besondere an diesem Fall: Pinglich befindet sich seit Beginn der Ermittlungen wegen Verdunkelungs- und Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Allerdings wird im ersten Verhandlungstermin der Haftbefehl aufgehoben und Pinglich aus der Haft entlassen. Daher entstehen während der Haft Gebühren mit Zuschlag.

Berechnung der Vergütung (RA Kräftich):

 
 

Grundgebühr mit Zuschlag

gem. §§ 2 Abs. 2, 14 RVG, Nrn. 4100, 4101 VV RVG
269,50 EUR
 

Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren mit Zuschlag

gem. §§ 2 Abs. 2, 14 RVG, Nrn. 4124, 4125 VV RVG
429,00 EUR
 

Terminsgebühr im Berufungsverfahren mit Zuschlag (1. Termin)

gem. §§ 2 Abs. 2, 14 RVG, Nrn. 4126, 4127 VV RVG
429,00 EUR
 

Terminsgebühr im Berufungsverfahren (2. Termin)

gem. §§ 2 Abs. 2, 14 RVG, Nr. 4126 VV RVG
429,00 EUR
20 %

Pauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte

gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7002 VV RVG
20,00 EUR
 

Dokumentenpauschale gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7000 Ziff. 1

Lit. a) VV RVG (73 Kopien)
28,45 EUR
    1.527,95 EUR
19 % USt. gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7008 VV RVG 290,31 EUR
    1.818,26 EUR

RA Kräftich erhält die Grundgebühr, da er sich in die Sache neu einarbeiten musste.

Zum zweiten Termin bestand keine Haft mehr, daher Terminsgebühr ohne Zuschlag.

 

Beispiel:

RAin Klören verteidigt den Kilian Schlich, der seit seiner Verhaftung zu Beginn des Vorverfahrens wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft einsitzt, im Vorverfahren und im Hauptverfahren vor der großen Strafkammer. Bereits im Ermittlungsverfahren hat sie aus der Ermittlungsakte 345 Kopien gefertigt; die Akte wurde über ihr Gerichtsfach zugestellt. Bei zwei Haftprüfungsterminen hat die RAin ihren Mandanten im Vorverfahren vertreten. Schlich ist angeklagt, Rindfleisch aus England im Wert von etwa 10 Millionen Euro mit einem falschen Ursprungszeugnis als argentinisches Rindfleisch nach Deutschland eingeführt zu haben. Die Hauptverhandlung dauert einen Tag.

Schlich ist sehr reich, und je länger die Untersuchungshaft dauert, umso größer werden seine geschäftlichen Verluste. Wegen ausländischer Zeugen und Urkunden muss die RAin ihre spanischen und englischen Sprachkenntnisse einsetzen. Diese Umstände sprechen im Sinne des § 14 RVG schon dafür, die Höchstgebühr der jeweiligen Gebührenrahmen zum Ansatz zu bringen. Die durch die Untersuchungshaft bedingten zusätzlichen Erschwernisse für die RAin berechtigen zur Erhebung der Gebühren mit Zuschlag für Haft.

Berechnung der Vergütung (Vorverfahren):

 
 

Grundgebühr mit Zus...

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