a) Die Reaktion der Gesetzgebung auf das Urteil des EGMR vom 28.5.2009

 

Rz. 229

Mit dem Zweiten Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 12.4.2011 (Zweites ErbRGleichG)[211] hat die Gesetzgebung auf das Urteil des EGMR vom 28.5.2009 reagiert. Der EGMR hatte in einem besonders gelagerten Fall einen Verstoß der deutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung gegen Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) i.V.m. Art. 8 EMRK (Schutz der Familie) festgestellt. Ob das Reparaturgesetz, das mit Rückwirkung zum 29.5.2009 in Kraft getreten ist, mit seiner Neuregelung in allen Punkten den Anforderungen der EMRK gerecht wird, erscheint fraglich.

 

Rz. 230

Trotz des Verfassungsauftrags zur Gleichstellung nichtehelicher Kinder mit ehelichen Kindern durch die Gesetzgebung in Art. 6 Abs. 5 GG, der seit 23.5.1949, dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, gegolten hat, wurde die Problematik erst 20 Jahre später mit dem Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NEhelG) vom 18.9.1969,[212] in Kraft getreten am 1.7.1970, ernsthaft angegangen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte § 1589 Abs. 2 BGB a.F. mittels einer Fiktion die Verwandtschaft zwischen Vater und nichtehelichem Kind schlicht geleugnet ("Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt").[213] Schon die Weimarer Reichsverfassung sah in Art. 121 vor, dass Gesetze zur Verbesserung der Rechtsposition nichtehelicher Kinder erlassen werden sollten.[214] Es blieb jedoch bei Gesetzentwürfen. Die Wiedervereinigung von 1990 hat mit erneuter nahezu achtjähriger Verzögerung zum 1.4.1998 das volle gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht nichtehelicher Kinder am Vater und den väterlichen Verwandten und umgekehrt das Erbrecht Letzterer am nichtehelichen Kind gebracht. Eine problematische Sonderregelung bestand jedoch seit dem 1.7.1970: Bereits das NEhelG von 1969 hat alle vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder vom Erbrecht am Vater ausgeschlossen; diese Sonderregelung – vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß angesehen – blieb auch in der Folgezeit bestehen. Mit dem Urteil des EGMR vom 28.5.2009 kam noch einmal gehörig Bewegung in die unzureichend geregelte Materie.

[211] Verkündet am 15.4.2011 in BGBl I 2011, 615; die Änderungen der ZPO und der AO betreffen das Erbrecht nichtehelicher Kinder in keiner Weise.
[212] BGBl I 1969, 1243.
[213] Anhand von § 1589 Abs. 2 BGB haben Studienanfänger der Rechtswissenschaft gelernt, was eine Fiktion zu leisten vermag: Ein Gedankenkonstrukt, das Fakten negieren kann.
[214] Selbst der über 100 Jahre ältere Code Civil von 1804 hatte nichtehelichen Kindern ein gesetzliches Erbrecht am Vater zugestanden (Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte Bd. V S. 453).

b) Rechtsprechung bundesdeutscher Gerichte nach dem Urteil des EGMR vom 28.5.2009

 

Rz. 231

Da Entscheidungen des EGMR keine unmittelbar bindende Wirkung für bundesdeutsche Gerichte haben und das Urteil des EGMR nur inter partes wirkt, musste nunmehr in verschiedenen gerichtlichen Verfahren geklärt werden, auf welche Weise das Urteil des EGMR umzusetzen sei.[215]

Die Gerichte (OLG Stuttgart;[216] Kammergericht;[217] Hanseatisches OLG Hamburg;[218] OLG Köln;[219] LG Saarbrücken[220]) kommen in ihren Entscheidungen unisono zum Ergebnis, aus Gründen des Vertrauensschutzes habe sich an der bisherigen Rechtslage nichts geändert, die Zeitgrenze 1.7.1949 bleibe bestehen; außerdem seien deutsche Gerichte an die eindeutige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebunden.

[215] BVerfG NJW 2004, 3407 = JuS 2005, 164 m. Anm. Sachs. Vgl. hierzu Krug, Die Umsetzung des EGMR-Urteils zum Nichtehelichenerbrecht in die forensische und rechtsgestalterische Praxis, ZEV 2010, 505 sowie ZEV 2011, 129.
[216] ZEV 2010, 249.
[217] ZEV 2010, 524.
[218] Urt. v. 15.6.2010 – 2 U 8/10, n.v., Revision beim BGH anhängig gewesen unter Az. IV ZR 150/10.
[219] ZEV 2011, 129.
[220] ZEV 2010, 526.

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