A. Einleitung

 

Rz. 1

Der Rechtsanwalt kommt im Zivilprozess in unterschiedlichen Fallkonstellationen mit Zustellungsfragen in Berührung.

 

Rz. 2

Schon im Vorfeld einer gerichtlichen Auseinandersetzung kann es erforderlich sein, aufgrund gesetzlicher Vorschriften, vertraglicher Vereinbarungen oder zu Beweiszwecken Zustellungen zu veranlassen. So kann es erforderlich sein, eine Kündigung eines Vertrages oder eine Optionserklärung zuzustellen. Dabei ist zu beachten, dass § 132 BGB den Zugang einer Willenserklärung nur dann fingiert, wenn diese durch den Gerichtsvollzieher zugestellt wurde.

 

Rz. 3

 

Hinweis

Der Rechtsanwalt muss immer auch abwägen, inwieweit eine Zustellung von Willenserklärungen, etwa einer Aufrechnung oder einer Abtretungserklärung zur Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten sinnvoll erscheint. Im Zweifel sollte immer eine förmliche Zustellung veranlasst werden.[1]

 

Rz. 4

 

Tipp

Für den Gläubiger kann es taktisch klug sein, eine Rechnung oder Mahnung durch den Gerichtsvollzieher zustellen zu lassen. Viele Schuldner, insbesondere Verbraucher beeindruckt dies, so dass es zur Zahlung kommt, ohne dass eine gerichtliche Auseinandersetzung gesucht werden muss.

 

Rz. 5

Betreibt der Rechtsanwalt dann aktiv den Prozess, so muss er auf eine ordnungsgemäße Zustellung seiner Klageschrift oder etwa des Mahnbescheides achten, wenn er in prozessualer Hinsicht Verzögerungen vermeiden und in materiell-rechtlicher Hinsicht eventuelle Nachteile, wie etwa die Verjährung eines Anspruches, verhindern will. Gerade im Rahmen des § 167 ZPO trifft ihn eine Erkundigungspflicht.

 

Rz. 6

Umgekehrt muss der Rechtsanwalt auf der Passivseite genau nach solchen Fehlern suchen, um im Sinne seines Mandanten die Inanspruchnahme hinauszögern, bestenfalls sogar verhindern zu können und kurze Fristen bis zur Verjährung des Anspruchs ggf. noch überbrücken zu können.

 

Rz. 7

Im Rechtsmittelzug richten sich der Beginn und das Ende von Rechtsmittelfristen in wesentlichen Fällen nach der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung. Auch hier bedarf es der Überprüfung, wann und ob eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt ist, und der Beantwortung der Frage, wann Fristen ablaufen und welche Folgen ein Mangel der Zustellung nach sich zieht. Fehlerquellen ergeben sich hierbei bei einem Anwaltswechsel zwischen den Instanzen.

 

Rz. 8

Auch zum Abschluss des Prozesses stellt das Zustellungsrecht einen wesentlichen Faktor dar, um ohne Verzögerung die Zwangsvollstreckung gem. § 750 ZPO beginnen zu können.[2] Im Konkurrenzkampf mehrerer Gläubiger stellt sich die Frage nach der Zustellung zur Bestimmung der Rangverhältnisse der Gläubiger untereinander nach § 804 Abs. 3 ZPO.

 

Rz. 9

Zeigen sich in der Zustellung Mängel, so stellt sich letztlich die Frage, ob und wie diese geheilt werden können.

Die nachfolgenden Ausführungen sollen deshalb in Abschnitt B die rechtlichen Grundlagen des seit dem 1.7.2002 geltenden Zustellungsrechtes nach der ZPO darstellen und in Abschnitt C (Rdn 341 ff.) dann die notwendigen Praxishilfen, insbesondere die erforderlichen Musteranträge zur Verfügung stellen.

[1] Goebel, Unterschätzen Sie nicht die Bedeutung des Zugangsnachweises, Prozessrecht aktiv 2008, 170.
[2] Vgl. hierzu Goebel/Geilen, AnwF Zwangsvollstreckung, § 3 Rn 228.

B. Rechtliche Grundlagen

 

Rz. 10

Das Zustellungsrecht der Zivilprozessordnung wurde mit dem Zustellungsreformgesetz vom 25.6.2001, welches mit Wirkung zum 1.7.2002 in Kraft getreten ist,[3] gänzlich neu strukturiert und zugleich gestrafft. Aufgrund der langen Vorlaufzeit zwischen der Veröffentlichung und dem Inkrafttreten wurde auf eine Übergangsregelung verzichtet, so dass das neue Recht für alle ab dem 1.7.2002 bewirkten Zustellungen unmittelbar Anwendung findet.

 

Rz. 11

Die früher in den §§ 166–213a ZPO a.F. enthaltenen Regelungen finden sich nunmehr in den §§ 166195 ZPO.[4] Dabei wurde die in der Praxis wesentlich bedeutendere Zustellung von Amts wegen in den §§ 166190 ZPO an den Anfang gestellt und die Zustellung im Parteibetrieb[5] nur noch mit ihren Abweichungen in den §§ 191195 ZPO einer gesonderten Regelung zugeführt. Dies muss berücksichtigt werden, wenn ältere Rechtsprechung herangezogen wird.

 

Rz. 12

Mit der Einführung der Zustellung durch Einschreiben/Rückschein sowie erleichterten Möglichkeiten der Ersatzzustellung und der Niederlegung hat die Reform wesentliche Erleichterungen gegenüber der alten Zustellungspraxis hervorgebracht.

 

Rz. 13

Die Zustellung von Schriftstücken in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist inzwischen durch die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten[6] geregelt, die die Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen,[7] abgelöst hat. Die geltende Verordnung stellt unmittelbares nationales Recht dar.

 

Rz. 14

Die zivilprozessuale Regelung über die Zustellun...

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