Rz. 141

Die Normen des sozialen (Nachteils-)Ausgleichs wurzeln – anders als bei den kausal ausgerichteten Sozialleistungstatbeständen der Sozialversicherung oder der sozialen Entschädigung – weder in einem vorbestehenden und auf Vorsorge angelegten Rechtsverhältnis noch in der haftungsrechtlichen Zurechnung eines Schadens, sondern in den Verfassungsgeboten

der Sozialstaatlichkeit in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz,
des Grundrechts auf Schutz der Menschenwürde,
des Grundrechts auf freie Entfaltung der Person.
 

Rz. 142

Das Recht des sozialen Nachteilsausgleichs wird deshalb – wenn auch nicht durchgehend, so doch weitgehend – vom Prinzip der Finalität beherrscht. Normen, die auf sozialen Nachteilsausgleich gerichtet sind, stellen in der Regel auf

die Bedarfssituation,
die Art des Bedarfs
und die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers

ab, weil sie nicht auf eigenen Leistungen des Betroffenen, insbesondere nicht auf eigener Beitragszahlung, beruhen. Es muss "eine besondere Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit bestehen".[64] Alle diese Normen werden allgemein unter dem Begriff der Fürsorge[65] (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) zusammengefasst. Nach dem "Warum" der Bedürftigkeit wird in der Regel nicht gefragt. Die Bedürftigkeitsprüfung kann zwischen strenger, abgemilderter und gar keiner Prüfung der Bedürftigkeit variieren.[66]

 

Rz. 143

In der erbrechtlichen Praxis sind das SGB II und das SGB XII bekannt. Daneben gibt es aber eine Reihe von weiteren Sozialleistungen, die zur "Fürsorge" gehören, soziale Nachteile ausgleichen sollen, und die allesamt irgendwie unter dem Vorbehalt des Nachranggrundsatzes[67] stehen und bei denen deshalb der Zufluss von Mitteln aus Erbfall und Schenkung bedeutsam ist oder werden kann.

 

Rz. 144

Die Bedürftigkeit des Antragstellers und das Nachrangprinzip beherrschen ganz allgemein die Voraussetzungen für das Entstehen und Bestehen des Leistungsanspruchs des Hilfesuchenden. Der objektive Mangel an eigenen oder fremden Mitteln ist häufig negatives Tatbestandsmerkmal[68] des Sozialleistungsverhältnisses.

 

Rz. 145

Die sozialrechtliche Kategorie der Ausgleichsleistungen wird durch die Begriffe "Soziale Förderung" und "Soziale Hilfen" unterteilt.

Die "sozialen Hilfen" werden durch

das Sozialhilferecht (SGB XII) und
die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)

verkörpert. Zu den Leistungen der "sozialen Förderung" gehören u.a.

das Recht der Ausbildungs- und Berufsförderung,
das Recht der Jugendhilfe,
der Familienlastenausgleich (soweit nicht ausdrücklich im EStG verarbeitet),
das Wohngeldrecht.[69]
[65] Vgl. zu Fürsorge: sowohl bedarfsorientiert als auch abhängig von nicht ausreichendem Einkommen und Vermögen auch BVerwG v. 10.12.2004 – Az.: 5 B 47.04. m.v.w.N.
[66] Castendieck/Hoffmann, Das Recht der behinderten Menschen, § 25 Rn 22.
[67] Vgl. dazu allgemein Berlit/Conradis, Existenzsicherungsrecht, Teil I, Kapitel 11.
[68] BVerwG v. 5.5.1983 – Az.: 5 C 112.81, BVerwGE 67, 171 f.; OVG Bremen FEVS 55, 264; VG Frankfurt zfs 2004, 63; VG Gera ZfF 2004, 35.
[69] Waltermann, Sozialrecht, Rn 79.

aa) Das Recht der sozialen Förderung im SGB

 

Rz. 146

Im Recht der sozialen Förderung geht es um den Ausgleich geminderter Chancen (Chancendefizit). Die dazugehörigen Gesetze sind nicht alle numerisch dem SGB zugeordnet. Nur das Jugendhilferecht ist bisher als SGB VIII ein numerisch besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs. Die anderen gesetzlichen Regelungen, wie z.B. das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), gelten nach § 61 SGB I als besondere Teile des SGB.

(1) Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG)

 

Rz. 147

Wer an einer Ausbildung teilnimmt, die seiner Neigung, Eignung und Leistung entspricht, hat nach §§ 3, 18 SGB I ein soziales Recht auf individuelle Förderung seiner Ausbildung, wenn ihm die hierfür erforderlichen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen. Zum Recht der sozialen Förderung gehört deshalb u.a. auch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), das dieses soziale Recht konkretisiert.

 

Rz. 148

Ausbildungsförderung dient der Deckung des Bedarfs des Auszubildenden für Ausbildung und Lebensunterhalt (§ 11 Abs. 1 BAföG). Ausbildungsförderung ist eine nachrangige Leistung, bei der die förderungsrechtliche Subsidiarität durch bedarfsmindernde Berücksichtigung des Einkommens und des Vermögens des Auszubildenden und des Einkommens seines Ehegatten/Lebenspartners und seiner Eltern umgesetzt wird. Es verweist den Auszubildenden damit auf die Inanspruchnahme dieser eigenen oder fremden Mittel.[70] Auf den Bedarf eines Auszubildenden wird insbesondere eigenes Einkommen nach den §§ 21 ff. BAföG angerechnet und das Nachrangprinzip damit konkretisiert.[71] Vermögen des Auszubildenden wird nach Maßgabe des förderungsrechtlichen Vermögensbegriffs[72] der §§ 2730 BAföG auf den Bedarf des Auszubildenden angerechnet.

 

Rz. 149

Mittel aus Erbfall und Schenkung beim Auszubildenden sind deshalb für den Bezug von BAföG-Leistungen rechtserheblich. Sie können zum Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen führen....

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