Rz. 158

Nach dem BKGG können der Kinderzuschlag und Leistungen für Bildung und Teilhabe in Anspruch genommen werden. Der Kinderzuschlag ist eine Leistung der Familienkasse nach § 6a BKGG. Danach erhalten Personen für die in ihrem Haushalt lebenden unverheirateten Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, einen Kinderzuschlag, wenn durch diesen Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs. 2 SGB II vermieden werden kann, was voraussetzt, dass das betroffene Kind ohne den Kinderzuschlag hilfebedürftig wird.[79]

 

Rz. 159

Nach der Rechtsprechung des BSG sind Kinderzuschlag und Kindergeld Leistungen, die unterschiedliche Zielsetzungen haben, aber aufeinander bezogen sind und sich wechselseitig ausschließen.[80] Für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit nach § 6a BKGG ist auf den Begriff des Einkommens und des Vermögens nach §§ 1113 SGB II abzustellen. Der Einkommensbegriff des § 11 SGB II gilt dabei im Rahmen des § 6a BKGG grundsätzlich "uneingeschränkt", weshalb auch die zum SGB II ergangene Rechtsprechung des BSG zu den "bereiten Mitteln" auf den Kinderzuschlag nach Kindergeldrecht Anwendung findet.[81] Der Kinderzuschlag – an der Grenze zum subsidiär ausgestalteten SGB II ("Hartz-IV") – ist also subsidiär ausgestaltet und damit schenkungs- und erbfallempfindlich.

 

Rz. 160

Da solche Gestaltungen nicht alltäglich sind, sei hier lediglich auf einen erbrechtlichen Fall zum Kinderzuschlag nach § 6a BKGG hingewiesen, den das BSG[82] 2015 entschieden hat und der sich an den damals geltenden Regeln des SGB II orientiert hat. Der Kindesmutter war der Kinderzuschlag versagt worden wegen einer Erbschaft, die mehr als 110.000 EUR betrug. Zum Nachlass gehörte eine erst durch einen Verkauf zu verwertende Eigentumswohnung. Es war Testamentsvollstreckung angeordnet worden: "Der Testamentsvollstrecker soll A G und ihrem Kind nach Möglichkeit aus den Früchten des Vermögens dauerhafte Zuwendungen sichern. Er soll versuchen, den Stamm des ererbten Vermögens zu erhalten. Ist dies nach seinem freien Ermessen untunlich, soll er das ererbte Vermögen in angemessenen, seiner freien Ermessensentscheidung unterliegenden Raten an die Erbin auszahlen." Der Testamentsvollstrecker hatte nach Maßgabe von Verwaltungsanordnungen des Erblassers monatliche Zahlungen in Höhe von 500 EUR "zur Absicherung des Lebensunterhaltes und zur Kompensierung des Ausfalls des Kinderzuschlags" ausgezahlt und außerdem einen Pkw unentgeltlich zur Verfügung gestellt.

 

Rz. 161

Die Entscheidung ist auch heute noch von besonderer Bedeutung, weil das BSG in dieser Entscheidung – in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zum Behindertentestament – explizit entschieden hat, dass die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung (§ 2209 BGB) in einer solchen Fallgestaltung nicht gegen die guten Sitten i.S.v. § 138 BGB zu Lasten der öffentlichen Hand verstößt.[83]

 

Rz. 162

Gleichzeitig ergab sich im konkreten Fall das spezielle Problem, dass durch die Freigabe von Mitteln durch den Dauertestamentsvollstrecker der eigentliche Bedarf der Klägerin und ihrer Kinder fortlaufend (zumindest teilweise) gedeckt worden war, was zum Wegfall des Leistungsanspruchs führen kann. In nachrangigen Leistungssystemen besteht der Nachrang der Leistungen nämlich auch gegenüber Leistungen Dritter, auch wenn hierauf kein Anspruch besteht. Unerheblich ist dabei, ob die Leistung aufgrund einer gesetzlichen, vertraglichen bzw. sittlichen Verpflichtung oder aus freien Stücken bzw. irrtümlich erbracht wurde.[84] Somit konnte der Leistungsanspruch durch das Handeln des Testamentsvollstreckers vernichtet worden sein. Zu klären war deshalb, so das BSG in der konkreten Entscheidung, "welchen Rechtscharakter diese Zahlung hatte (z.B. "normale" bereite Mittel oder bloßes Darlehen wegen der Abtretung des Anspruchs auf Kinderzuschlag), um über eine Berücksichtigung der Zahlung bei der Prüfung des Anspruchs der Klägerin auf Kinderzuschlag zu entscheiden."[85] Im Falle "normaler bereiter Mittel" wäre der Leistungsanspruch entfallen.

 

Rz. 163

Die Entscheidung zeigt anhand eines relativ verborgenen Rechtsgebiets, dass die gestalterische Tätigkeit auf der Schnittstelle von Erb- und Sozialhilferecht nicht nur das SGB II und das SGB XII in den Blick nehmen oder gar dort verharren darf. Es gibt eine Reihe von gesetzlichen Regelungen, die die Einkommens- und Vermögensbegriffe des SGB II oder des SGB XII in Bezug nehmen. Die zu solchen Regelungen ergangene Rechtsprechung ist auf der Schnittstelle von Erbrecht und Sozialrecht von allgemeingültigem Interesse.

Das gilt auch für den nachfolgenden kurzen Exkurs zum Kindergeldrecht nach EStG. Der Bezug von Kindergeld für behinderte Menschen ist einkommensabhängig und ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil Kindergeld, wie auch andere Leistungen des Sozialrechts (z.B. Rentenansprüche), dazu beitragen kann, den existenziellen Bedarf eines Menschen unabhängig von Sozialhilfeleistungen zu decken.

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