Rz. 98

Das materielle Sozialrecht besteht aus einer Vielzahl nach und nach gewachsener besonderer Bausteine und Ansprüche, die als Antworten auf soziale Problemlagen entstanden sind.[48]

Den besonderen Büchern des SGB ist ein Allgemeiner Teil – das Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) – vorangestellt. Das SGB I stellt den Überblick über das Leistungsspektrum der besonderen Sozialgesetzbücher dar, über die Leistungsarten, die Art der Leistungserbringung etc. Im SGB I werden allgemeine Prinzipien und Grundsätze, die für alle besonderen Bücher des SGB gelten, "vor die Klammer gezogen". Das SGB I erfüllt damit eine Funktion vergleichbar der des BGB Allgemeiner Teil. Hier finden sich z.B. die Regeln über

die Sonderrechtsnachfolge in fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen (§ 56 SGB I),
den Verzicht und die Haftung des Sonderrechtsnachfolgers (§ 57 SGB I),
die sonstige Vererbung (§ 58 SGB I) und
den Ausschluss der Rechtsnachfolge (§ 59 SGB I).
 

Rz. 99

Im SGB I kann man anhand der Leistungsbeschreibungen erkennen, bei welchen Sozialleistungen Mittel aus Erbfall und Schenkung anspruchs- und versagungsrelevant sein können und bei welchen nicht. Dort werden nämlich ganz allgemein die sog. sozialen Rechte und Einweisungsvorschriften beschrieben. Darunter gibt es solche, bei denen aus Erbfall und Schenkung stammende Ansprüche als eigene einzusetzende Mittel keine Rolle spielen, und solche mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung, für die regelmäßig kennzeichnend ist, dass eigene Mittel vorrangig einzusetzen sind und bestimmte Einkommens- und ggf. Vermögensgrenzen nicht überschritten werden dürfen.[49] Das ist das Subsidiaritätsprinzip. Es verkörpert das Prinzip der Eigenverantwortung und ist der Gegenspieler des Prinzips der Solidarität. Der Mensch muss für die Sicherung seiner Bedarfe vorrangig selbst sorgen.

 

Rz. 100

Das wird im SGB I beispielsweise so beschrieben, dass für den Anspruch das Fehlen eigener Mittel (z.B. § 3 Abs. 1 SGB I – Bildungs- und Arbeitsförderung) erforderlich ist, dass es um die Unzumutbarkeit des Aufbringens von Aufwendungen (§ 7 SGB I – Zuschuss für eine angemessene Wohnung) geht oder um die Unfähigkeit, sich selbst zu helfen oder aus eigenen Kräften seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, und damit um die Berücksichtigung von eigenem Einkommen und/oder Vermögen des Anspruchstellers (z.B. § 9 SGB I). In den Einzelgesetzen wird dann der Inhalt des Nachrangprinzips erst näher beschrieben. Eine allgemeingültige Definition oder Inhaltsbeschreibung findet man im SGB I nicht.

 

Rz. 101

Mit der Tatbestandsvoraussetzung, dass eigene Mittel nicht zur Verfügung stehen, korreliert der Begriff des "Sozialhilfe"-Regresses. Dahinter verbirgt sich die Frage, wie man mit dem "Störfall" umgeht, dass Mittel aktuell nicht oder nicht mehr zur Verfügung stehen.

Auch den Begriff des "Sozialhilfe"-Regresses wird man im SGB I – wie auch an anderer Stelle – vergeblich suchen. Es gibt ihn schlicht nicht. Das SGB I gibt nur einen Überblick und eine Einweisung über die Palette der möglichen Sozialleistungen. Um die im Zusammenhang mit Erbfall und Schenkung gefährdeten Sozialleistungen besser identifizieren und herausarbeiten zu können, wird nachfolgend ein systematischer Überblick über die wichtigsten Leistungen gegeben.

[48] Becker/Kingreen, Das Sozialgesetzbuch als Kodifikationsprojekt, in: Sozialgesetzbuch, Textausgabe, 46. Aufl. 2017, XIII.
[49] Vgl. zur Definition des Fürsorgerechts z.B. BVerwG v. 23.4.2019 – Az.: 5 C 2.18 m.v.w.N.

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