Rz. 237

BGH, Urt. v. 17.9.2019 – VI ZR 396/18, juris

Zitat

BGB § 249; ZPO § 287 Abs. 1

Zum Maß notwendiger Überzeugung im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO (hier: Berücksichtigung von sogenannten Beilackierungskosten im Rahmen fiktiver Schadensabrechnung).

Orientierungssatz juris:

1. Nach § 287 ZPO ist der Richter – im Interesse des von einer rechtswidrigen Handlung Betroffenen – ermächtigt, sich mit einer mehr oder minder hohen (mindestens aber überwiegenden) Wahrscheinlichkeit zu begnügen. Bei der Schadensschätzung steht ihm ein Ermessen zu, wobei in Kauf genommen wird, dass das Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.

2. Ein Anspruch auf Ersatz der Beilackierungskosten bei fiktiver Abrechnung kann nicht mit der Begründung verneint werden, die Erforderlichkeit der Beilackierungskosten lasse sich erst nach durchgeführter Reparatur sicher beurteilen. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei der fiktiven Abrechnung eines Fahrzeugschadens stets eine (gewisse) Unsicherheit verbleibt, ob der objektiv zur Herstellung erforderliche (ex ante zu bemessende) Betrag demjenigen entspricht, der bei einer tatsächlichen Durchführung der Reparatur angefallen wäre oder anfallen würde. Unter Hinweis auf diese verbleibende Unsicherheit darf sich ein Gericht nicht der ihm obliegenden Aufgabe entziehen, eine Schadensermittlung nach den Grundsätzen des § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmen und insoweit zu prüfen, ob ein Schaden überwiegend wahrscheinlich ist.

a) Der Fall

 

Rz. 238

Der Kläger nahm die Beklagte auf Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Die Beklagte war der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners, dessen Einstandspflicht dem Grunde nach außer Streit steht. Bei dem Unfall wurde das im Farbton "phantomschwarz Perleffekt" lackierte Fahrzeug des Klägers beschädigt.

Der Kläger rechnete mit der Beklagten auf Gutachtenbasis in Höhe der fiktiven Reparaturkosten ab. Auf der Grundlage des von dem Kläger in Auftrag gegebenen schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen G. zahlte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 2.432,19 EUR. Mit der vorliegenden Klage machte der Kläger den Restbetrag in Höhe von 643,39 EUR – betreffend die im Gutachten ausgewiesenen Beilackierungskosten in Höhe von 424,26 EUR und sogenannte UPE-Aufschläge in Höhe von 219,13 EUR – nebst Zinsen und die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten geltend.

 

Rz. 239

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil teilweise abgeändert, die Beklagte verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 219,13 EUR (UPE-Aufschläge) nebst Zinsen zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgte der Kläger seine Klageanträge im Umfang der Abweisung weiter.

b) Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 240

Die Revision hatte Erfolg. Mit der Begründung des Berufungsgerichts konnte ein Anspruch des Klägers auf Ersatz der streitigen Beilackierungskosten nicht verneint werden, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, § 287 Abs. 1 ZPO.

 

Rz. 241

Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ist der Geschädigte eines Verkehrsunfalls, der es nach einem Sachschaden selbst in die Hand nimmt, den früheren Zustand herzustellen, berechtigt, vom Schädiger den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Dabei beschränkt sich das Ziel der Restitution nicht auf eine (Wieder-)Herstellung der beschädigten Sache; es besteht in umfassenderer Weise gemäß § 249 Abs. 1 BGB darin, den Zustand herzustellen, der, wirtschaftlich gesehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht. Der Geschädigte ist aufgrund seiner nach anerkannten schadensrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositionsfreiheit in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich beanspruchen kann. Er ist nicht dazu verpflichtet, sein Fahrzeug reparieren zu lassen, sondern kann auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens fiktiv abrechnen. Die Angaben des Sachverständigen zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten bestimmen nicht verbindlich den Geldbetrag, der im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich ist. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufriedengibt.

 

Rz. 242

Im Ausgangspunkt zutreffend nahm das Berufungsgericht an, dass den Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit der Kosten der Beilackierung trifft. Insoweit geht es nicht um die Verletzung der Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB), für die grundsätzlich der Schädiger die Beweislast trägt, sondern um die Schadenshöhe, die der Geschädigte auch im Rahmen des § 287 ZPO – soweit nach Abs. 1 S. 2 der Vorschrift erforderlich – nach den allgemeinen Grundsätzen darzulegen und gg...

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