Rz. 227

Das Kapitel IV (Art. 16 bis 43) der EU-UnterhaltsVO regelt die Anerkennung, die Vollstreckbarkeit und die Vollstreckung der unter die EU-UnterhaltsVO fallenden Entscheidungen (Art. 16 Abs. 1 EU-UnterhaltsVO) dergestalt, dass

Abschnitt 1 (Art. 17 bis 22) der EU-UnterhaltsVO für Entscheidungen gilt, die in einem Mitgliedstaat, der durch das Haager Protokoll von 2007 (HUntProt, siehe Rdn 279 ff.) gebunden ist, ergangen sind (Art. 16 Abs. 2 EU-UnterhaltsVO);
Abschnitt 2 (Art. 23 bis 38) der EU-UnterhaltsVO für Entscheidungen gilt, die in einem Mitgliedstaat, der nicht durch das Haager Protokoll von 2007 (HUntProt, siehe Rdn 279 ff.) gebunden ist, ergangen sind (Art. 16 Abs. 3 EU-UnterhaltsVO); und
Abschnitt 3 (Art. 39 bis 43) der EU-UnterhaltsVO für alle Entscheidungen gilt (Art. 16 Abs. 4 EU-UnterhaltsVO).
 

Rz. 228

Die Bestimmungen des Kapitels IV der EU-UnterhaltsVO und insbesondere ihr Art. 41 Abs. 1 – so der EuGH[301] – sind dahin auszulegen, dass ein Unterhaltsberechtigter, der in einem Mitgliedstaat einen Titel erwirkt hat und dessen Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat begehrt, seinen Antrag unmittelbar bei der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaates (etwa einem Fachgericht) stellen und nicht verpflichtet werden kann, seinen Antrag über die Zentrale Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaates einzureichen. Die Mitgliedstaaten sind gehalten, für die volle Wirksamkeit des in Art. 41 Abs. 1 EU-UnterhaltsVO vorgesehenen Rechts Sorge zu tragen, indem sie ggf. ihre Verfahrensvorschriften anpassen. Das nationale Gericht hat jedenfalls die Bestimmung von Art. 41 Abs. 1 EU-UnterhaltsVO anzuwenden, indem es erforderlichenfalls entgegenstehende Vorschriften des nationalen Rechts unangewendet lässt. Es muss somit einem Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit geben, seinen Antrag unmittelbar bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaates zu stellen, auch wenn dies im nationalen Recht nicht vorgesehen ist.

[301] EuGH NJW 2017, 1227 = FamRZ 2017, 987 – Ls. 1 und 2. Dazu die Anm. von Streicher, FamRB 2017, 243. Vgl. auch Knöfel, IPRax 2018, 487; Wißling, GPR 2017, 255.

a) Mitgliedstaaten, die durch das Haager Protokoll 2007 gebunden sind

 

Rz. 229

Eine in einem Mitgliedstaat, der durch eine Ratifikation des Haager Protokolls von 2007 (HUntProt, siehe Rdn 279 ff.) gebunden ist (mithin nicht Großbritannien und Dänemark), ergangene Entscheidung wird nach Art. 17 Abs. 1 EU-UnterhaltsVO in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann (Abschaffung des Exequaturverfahrens und Anordnung der sofortigen Vollstreckbarkeit). Eine in einem entsprechenden Mitgliedstaat ergangene Entscheidung, die in diesem Staat vollstreckbar ist (vgl. Art. 18 EU-UnterhaltsVO, wonach eine vollstreckbare Entscheidung von Rechts wegen die Befugnis umfasst, alle auf eine Sicherung gerichteten Maßnahmen zu veranlassen, die im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates vorgesehen sind), ist gem. Art. 17 Abs. 2 EU-UnterhaltsVO in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf (mithin, ohne dass es noch Versagungsgründe für eine Anerkennung gibt).

 

Rz. 230

Ein gesondertes Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren ist demnach für die Vollstreckung von Unterhaltstiteln nach Maßgabe der EU-UnterhaltsVO seit dem 18.6.2011 nicht mehr erforderlich: Der Kläger kann einen entsprechenden Titel schon im Ausgangsverfahren beantragen und – so seine Klage erfolgreich ist – sich mit diesem unmittelbar an die Vollstreckungsorgane im Vollstreckungsstaat wenden[302] (wobei sich auch Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckung dann mit den aus Art. 21 EU-UnterhaltsVO resultierenden Modifikationen nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsstaates ergeben; vgl. im Hinblick auf Deutschland die §§ 30 ff. AUG).[303]

 

Rz. 231

Hinweis: Für Entscheidungen, die vor dem 18.6.2011 ergangen sind (oder noch unter der Geltung der EuGVO, vgl. Art. 75 Abs. 2 EU-UnterhaltsVO) – bzw. im Hinblick auf die Rechtslage in Großbritannien und Dänemark –, gilt das allgemeine Anerkennungsverfahren nach Maßgabe der Art. 23 ff. EU-UnterhaltsVO (sog. automatische (ipso jure-)Anerkennung): Es gelten die Versagungsgründe nach Art. 24 EU-UnterhaltsVO. Zudem kann sich der Verpflichtete gem. Art. 32 EU-UnterhaltsVO gegen die Vollstreckbarerklärung wehren.[304]

 

Rz. 232

Weiterer Hinweis: Demhingegen kann einer Anerkennung und Vollstreckung von Titeln außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 17 EU-UnterhaltsVO mit dem Einwand eines Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public begegnet werden.[305]

 

Rz. 233

Ein Antragsgegner, der sich im Ursprungsmitgliedstaat nicht auf das Verfahren eingelassen hat, hat nach Art. 19 Abs. 1 EU-UnterhaltsVO (Recht auf Nachprüfung) das Recht, eine Nachprüfung der Entscheidung durch das zuständige Gericht dieses Mitgliedstaates zu beantragen, wenn

ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt wo...

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