Rz. 633

Fehlerquellen ergeben sich analog zu den bereits beschriebenen Verfahren ebenfalls dadurch, dass die Auswertung von Geschwindigkeit und Abstand (egal innerhalb welcher Messstrecke(n)) nicht automatisiert sondern im Rahmen einer nachträglichen Auswertung durch den Messbeamten erfolgt, so dass evtl. Messfehler aufgrund falscher Zeitnahmen oder fehlerhafter Weg-Zeit-Berechnungen prinzipiell nicht auszuschließen sind.

 

Rz. 634

Sofern entsprechende Markierungen im Fernbereich vorhanden sind und durch das Auswertepersonal in diesem Bereich weitergehende Berechnungen zu Geschwindigkeit und Abstand angestellt werden, besteht zumindest die Möglichkeit, relevante Schwankungen im Fahrablauf in Annäherung an den Zielbereich feststellen zu können. Dies bedingt allerdings eine gewissenhafte Auswertung und Interpretation der Messergebnisse durch das Auswertepersonal.

 

Rz. 635

Dort, wo behördlicherseits keine weiteren Markierungen im Fernbereich aufgebracht sind, erfolgt hingegen keine rechnerische Überprüfung der Konstanz des Fahrverhaltens, wodurch evtl. Geschwindigkeits- und Abstandsschwankungen innerhalb der "nicht nur ganz vorübergehenden Wegstrecke" nicht festgestellt werden (können).

 

Rz. 636

Der Möglichkeit, alle relevanten und beeinflussenden Fahrabläufe vor der markierten Messstrecke allein durch schlichte Beobachtung ausschließen zu können, ist mit Verweis auf das eingangs genannte Gutachten des Herrn Prof. Dr. Erwin Hartmann (siehe Rdn 340) klar zu widersprechen.

 

Beispiel

Einem Fahrzeugführer wurde vorgeworfen, als Führer eines Pkw bei einer Geschwindigkeit von 90 km/h den erforderlichen Abstand von 45,00 m zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten zu haben. Der beanzeigte Wert war mit 17,75 m und damit weniger als 4/10 des halben Tachowertes festgestellt worden.

 

Rz. 637

Bereits der für Pkw auf Autobahnen unübliche Geschwindigkeitswert hätte die Behörde zu einer eingehenden Prüfung der Verkehrssituation und ihrer Entstehung veranlassen müssen. Dies geschah jedoch nicht.

 

Rz. 638

Bei Inaugenscheinnahme des Beweisvideos war festzustellen, dass das beanzeigte Fahrzeug den Zielbereich an sechster Stelle einer aus 13 Fahrzeugen bestehenden Kolonne durchfuhr.

 

Rz. 639

Außerdem war festzustellen, dass vor der Einfahrt in den Zielbereich ein Pkw vom mittleren auf den linken Fahrstreifen unmittelbar vor das dem Betroffenen vorausfahrende Fahrzeug, wechselte. Ebenso war zu erkennen, dass ein vor der Einfahrt in den Beobachtungsbereich vom Betroffenen und dem ihm nachfolgenden Fahrzeug überholter Pkw auf dem mittleren Fahrstreifen beide Fahrzeuge im Zielbereich rechtsseitig "zurücküberholt".

 

Rz. 640

All diese Umstände sprachen für deutliche Unregelmäßigkeiten im Verkehrsfluss auf dem vom Betroffenen befahrenen Fahrstreifen.

Abbildung 47: Fahrstreifenwechsel eines Pkw (dunkler Pfeil) in Annäherung an den Zielbereich. Die Fahrzeugposition des Betroffenen ist hier durch einen hellen Pfeil verdeutlicht

 

Rz. 641

In der oberen Darstellung ist zu erkennen, dass eine hinreichend exakte Auswertung von Geschwindigkeit und Abstand über die von der Rechtsprechung geforderte "nicht nur ganz vorübergehenden Wegstrecke" mit dem stark komprimierten Beweisvideo unmöglich ist. Orientiert an den Leitlinien konnten jedoch zwei zusätzliche Messstrecken im Vorfeld des behördlichen Zielbereiches markiert werden.

 

Rz. 642

Im Ergebnis der überprüfenden Auswertung deuteten sich bei den zur behördlichen ­Abstandsauswertung herangezogenen Fahrzeugen jeweils eine Geschwindigkeitsre­duzierung sowie eine Reduzierung des Zeitabstandes in Annäherung an den Zielbe­reich an.

 

Rz. 643

Das zuständige Amtsgericht stellte das Verfahren gegen den Betroffenen ein.

 

Hinweis

Die sachverständigen Auswertungen derartiger Messungen zeigen oftmals, dass relevante Schwankungen oder Fahrabläufe, sogar Fahrstreifenwechsel, in Annäherung an den Zielbereich bei der Auswertung nicht erkannt und demzufolge auch solche Situationen, welche nicht als unbeeinflusste Abstandssituationen zu deklarieren sind, zur Auswertung herangezogen werden. Zur Auswertung des Geschwindigkeits- und Abstandsverhaltens innerhalb einer "nicht nur ganz vorübergehenden Wegstrecke" bedarf es somit in Zweifelsfällen immer einer technischen Überprüfung der Messung.

 

Rz. 644

Ein weiteres generelles Problem bei der Begutachtung solcher Messungen entsteht dadurch, dass seitens der Behörde oftmals zur Auswertung lediglich stark komprimierte Videosequenzen mit geringer Auflösung und ohne entsprechende Videohalbbilder zur Verfügung gestellt werden. Infolgedessen ist eine Auswertung von Geschwindigkeit und Abstand mitunter schon direkt vor dem Zielbereich nicht mehr mit hinreichender Genauigkeit oder aber schlicht gar nicht möglich, da die Bezugspunkte auf der Fahrbahn und Fahrzeugkonturen infolge der Videokompression durch Blockartefakte stark überlagert werden und mit zunehmender Entfernung immer ungenauer zu erkennen sind.

 

Rz. 645

Dies insbesondere auch in Hinblick darauf, dass das Fahrverhalten der Fahrzeuge im Fernbe...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge