Rz. 663

Die Ermittlung der Zeitwerte zur Auswertung von Geschwindigkeit und Abstand erfolgt nicht automatisiert, sondern im Rahmen einer nachträglichen Auswertung durch den Messbeamten, sodass evtl. Messfehler aufgrund falscher Zeitnahmen, fehlerhafter Weg-Zeit-Berechnung oder Ablesefehlern nie gänzlich auszuschließen sind.
Die behördliche Auswertung von Geschwindigkeit und Abstand erfolgt zumeist lediglich innerhalb der markierten Strecke von 50 m im Zielbereich, sodass eine Überprüfung hinsichtlich der Konstanz des Fahrverhaltens innerhalb der von der Rechtsprechung geforderten "nicht nur ganz vorübergehenden Wegstrecke" nicht durchgeführt wird.
Die Überprüfung des Beweisvideos ergibt, dass die Konstanz der Abstandsunterschreitung innerhalb der "nicht nur ganz vorübergehenden Wegstrecke" nicht zu bestätigen bzw. nachzuvollziehen ist.
Die Überprüfung des Beweisvideos ergibt, dass die im Zielbereich beanzeigte Abstandssituation auf einen Fahrstreifenwechsel eines weiteren Fahrzeuges in Annäherung an den Zielbereich und/oder auf eine nicht unerhebliche Geschwindigkeitsreduzierung des vorausfahrenden Fahrzeuges zurückzuführen ist.
 

Rz. 664

Inwiefern die Kausalität zur Entstehung der im Zielbereich vielleicht korrekt ermittelten Abstandsunterschreitung auch in jedem Fall dem Betroffenen zuzuschreiben ist, wird in der Praxis nur in Ausnahmefällen überprüft.

 

Rz. 665

Selbst wenn durch mehrere Markierungen auf der Fahrbahn eine Auswertung innerhalb der gesamten Mess- und Beobachtungsstrecke ermöglicht und eine entsprechende Überprüfung durch die Verfahrensbeschreibung sowie in der allgemeinen späteren Bewertung als gegeben unterstellt wird, zeigen gutachterliche Bewertungen allerdings, dass derartige Überprüfungen nur selten bewusst erfolgen.

 

Rz. 666

Die Beweiskraft der Videoabstandsmessverfahren wird von der Aufzeichnungsqualität des gefertigten Beweisvideos bestimmt. Diese hängt insbesondere von der korrekten Auswahl der Aufzeichnungsposition der Kamera(s) sowie der verwendeten Brennweite ab.

 

Rz. 667

Entsprechende Einschränkungen hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit einer korrekten Messung ergeben sich somit u.U. bereits dann, wenn die Aufnahmeposition der Videokamera(s) oder die Brennweite so gewählt ist, dass das Fahrverhalten innerhalb der "nicht nur ganz vorübergehenden Wegstrecke" bereits bei der Aufzeichnung nicht ausreichend erfasst ist.

 

Rz. 668

Weitere Einschränkungen ergeben sich auch dann, wenn die Qualität der Beweisvideos im Zuge der behördlichen Digitalisierung derart herabgesetzt wird, dass eine exakte Auswertung von Geschwindigkeit schon direkt vor dem Zielbereich nicht mehr möglich ist und sich demzufolge die Konstanz des Fahrverhaltens sowie die Kausalität zur Entstehung der im Zielbereich beanzeigten Messsituation nicht mehr beurteilen lässt.

 

Rz. 669

Zudem ist entsprechenden Messaufbauten kritisch zu begegnen, bei denen die behördliche Auswertung ausschließlich innerhalb einer markierten Strecke im Zielbereich erfolgt und keine weiteren Markierungen auf der Fahrbahn im Fernbereich aufgebracht sind. Hier erfolgt keine weitergehende Berechnung von Geschwindigkeit und Abstand im Fernbereich, sodass Abstandsschwankungen oder Geschwindigkeitsreduzierungen der Fahrzeuge in Annäherung an den Zielbereich nicht festgestellt werden (können).

 

Rz. 670

Den Argumentationen der Behörden hinsichtlich der Möglichkeit zum Ausschluss deutlicher Bremsvorgänge der Fahrzeuge in Annäherung an den Zielbereich durch schlichte Inaugenscheinnahme der Videosequenz kann hierbei nicht entsprochen werden. An dieser Stelle sei auf das eingangs genannte Gutachten des Herrn Prof. Dr. Erwin Hartmann vom 27.12.1983 im Auftrag des OLG Köln (Az: 60 Js 2113/83) verwiesen (s. Rdn 340).

 

Rz. 671

Insbesondere auch bei der Durchführung von Abstandsmessungen bei Lkw wird seitens der Messbeamten sowie bei einer Vielzahl von Sachverständigen oftmals vernachlässigt, dass eine Kausalitätsprüfung hinsichtlich des beanzeigten Abstandes durch Vergleich von Geschwindigkeit und Abstand innerhalb der "nicht nur ganz vorübergehenden Wegstrecke" erforderlich ist.

 

Rz. 672

Zwar ist die Feststellung des objektiven Tatbestandes, d.h. ein Abstand von weniger als 50 m bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h, auch ohne Verwendung eines dafür vorgesehenen und zugelassenen Messgerätes möglich, die Kausalität der im Zielbereich beanzeigten Abstandssituation lässt sich jedoch ausschließlich durch eine ausreichende Berechnung von Geschwindigkeit und Abstand innerhalb der gesamten Mess- und Beobachtungsstrecke bewerten.

 

Rz. 673

Ohne eine detaillierte Auswertung ergeben sich keine Hinweise auf mögliche Geschwindigkeitsreduzierungen in Annäherung an den Zielbereich, evtl. Geschwindigkeitsdifferenzen oder auf die Entwicklung des Abstandes (Vergrößerung/Verringerung), wodurch sich evtl. Überholabsichten des Betroffenen oder aber ein Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Lkw unmittelbar vor Einfahrt in den Aufnahmebereich nicht bewerten lassen.

 

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