Rz. 80

Letztlich darf nicht übersehen werden, dass Inkassodienstleister "ein langer Atem" auszeichnet, weil sie insbesondere auch die Langzeitüberwachung von Forderungen übernehmen. Dabei wird dauerhaft die Zahlungsunwilligkeit und die Leistungsfähigkeit des Schuldners überprüft und sein Aufenthalt, so wie seine Einkommens- und Vermögensentwicklung auf der Zeitschiene beobachtet. Die Leistungsfähigkeit unterliegt naturgemäß Schwankungen. Parallel hierzu kontaktiert der Inkassodienstleister den Schuldner im Regelfall turnusmäßig, um einerseits den Kontakt zu ihm nicht zu verlieren – etwa infolge zwischenzeitlicher Wohnungs- bzw. Wohnortwechsel – und ihn andererseits dabei auch an die noch bestehende Verbindlichkeit zu erinnern. Sobald sich indes konkrete Anzeichen dafür ergeben, dass der Schuldner seine Zahlungsfähigkeit wieder erlangt hat, wird der Schuldner unter Fristsetzung nochmals zur Zahlung aufgefordert; sofern der Schuldner dies jedoch unbeachtet lässt, werden geeignete Einziehungsmaßnahmen von Moratorien über Zahlungsvereinbarungen bis zur Titulierung und Vollstreckung eingeleitet. Durch die Regelungen im SGB II und SGB XII (Hartz-IV) wird der Schuldner nicht nur gefördert, sondern auch gefordert. Schuldner erholen sich so in immer schnelleren ­Zyklen wirtschaftlich, weil sie bei der Arbeitssuche unterstützt und zu eigenen Bemühungen gefordert sind. Dem trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass er staatliche ­Sozialleistungen von Anfang an befristet.

 

Rz. 81

Gut 28 % aller in der Bearbeitung der Inkassodienstleister befindlichen Forderungen fallen in die Gruppe von Forderungen, die älter als zwei Jahre und tituliert sind.[160] Gerade bei diesen Forderungen, zumal wenn die Hauptforderung ursprünglich sehr klein war, wird die Erstattungsfähigkeit der Inkassokosten nicht selten in Frage gestellt, obwohl die Höhe der Nebenforderungen hier insbesondere auch darauf zurückgeht, dass der Schuldner die Forderung über viele Jahre nicht ausgeglichen, sondern nur Teilbeiträge oder gar keine Zahlungen geleistet hat, hohe Gerichts- und Vollstreckungskosten zu entrichten sind und/oder der Schuldner umzieht, ohne seinen Meldepflichten nachzukommen. Trotz vielfach dokumentierter Bemühungen um eine gütliche Einigung, die auch in einem abstrakten Schuldanerkenntnis, einer verjährungsverlängernden Vereinbarung und der Abtretung künftiger Gehalts- und Kontoansprüche ohne aktuelle Ratenzahlungen statt Titulierung und Vollstreckung liegen kann, reagieren Schuldner vielfach überhaupt nicht.

 

Hinweis

Die Langzeitüberwachung ist insbesondere zur Stärkung der Zahlungsmoral für das deutsche Wirtschaftssystem unverzichtbar. Würde sich der Eindruck verfestigen, dass Forderungen überhaupt nicht mehr eingezogen oder tituliert werden oder titulierte Forderungen nach zwei bis drei Vollstreckungsversuchen nicht mehr weiterverfolgt werden, müsste mit stärkeren Forderungsausfällen aufgrund einer sinkenden Zahlungsmoral gerechnet werden, weil die Zahlungsunwilligkeit ohne Konsequenzen bliebe. Dies würde nicht ohne Auswirkungen auf die Preise bleiben. Die Langzeitüberwachung liegt deshalb auch im Allgemeininteresse.

[160] Branchenstudie Inkasso 2016, Überblick über die Ergebnisse in: Die Inkassowirtschaft Nr. 21, Februar 2017, 3 [8], https://www.inkasso.de/sites/default/files/downloads/Inkassowirtschaft%2021.pdf, abgerufen am 25.3.2021.

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