Rz. 34

Eine andere Variante sind Vergünstigungen, die Rechtsschutzversicherungen ihren Kunden dann anbieten, wenn sie Kooperations-Anwälte beauftragen. Julia von Seltmann, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin der Bundesrechtsanwaltskammer, berichtet von einer Vielzahl von Anwälten, die sich bei der Anwaltskammer über diese Praxis beschweren. Langjährigen Mandanten würde der Verzicht auf den Selbstbehalt angeboten – also eine Ersparnis von oftmals bis zu rund 300 EUR – wenn sie statt des eigenen Anwalts einen Kooperations-Anwalt der Versicherung beauftragen. Von Seltmann steht dieser Praxis skeptisch gegenüber: "Ein solch aggressives Werben für die versicherungsnahen Anwälte stellt aus meiner Sicht eine Marktbeeinflussung dar, und zudem wird der Kunde in seinem in § 127 VVG verbrieften Recht auf freie Anwaltswahl eingeschränkt."

 

Rz. 35

Die Anwaltskammer München teilt diese Bedenken. Sie hat gegen die HUK-COBURG Rechtsschutzversicherung AG vor dem Landgericht Bamberg geklagt.[42] Die Klage wurde zunächst erstinstanzlich abgewiesen. Das LG Bamberg schätze das Vorgehen des RSV als rechtmäßig ein und kommt zu dem Urteil:

Zitat

"Der von der Klägerin angeführte finanzielle Aspekt bzw. die als Nachteil dargestellte Folge der Rückstufung in eine andere Schadensfreiheitsklasse mit möglicherweise einhergehender Erhöhung der Selbstbeteiligung ist nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen. Die Kammer geht zunächst davon aus, dass sich ein verständiger und informierter Versicherungsnehmer durch derartige finanzielle Überlegungen nicht in der Auswahl seines Rechtsanwalts beeinflussen lässt. Im Falle der Versicherungsbedingungen der Beklagten beläuft sich der finanzielle “Vor- oder Nachteil‘ im Einzelfall auf durchschnittlich 150,00 EUR sofern ein Versicherungsnehmer den Empfehlungen der Beklagten keine Folge leistet. Die Kammer übersieht dabei nicht, dass ein Betrag in Höhe von 150,00 EUR für den Einzelnen eine durchaus erhebliche finanzielle Größenordnung darstellt. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass es in Fällen, in denen sich der Versicherte an einen Rechtsanwalt wendet, es für den Betroffenen nicht um die Regelung von alltäglichen Dingen mit geringer Bedeutung geht. Vielmehr liegt im Falle der Einschaltung eines Rechtsanwaltes in der Regel ein komplexerer Sachverhalt mit dementsprechender Tragweite in persönlicher und finanzieller Hinsicht für den Rechtssuchenden vor. Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass das Vertrauen in den zu beauftragenden Rechtsanwalt das erste Auswahlkriterium auf Seiten eines verständigen informierten Versicherungsnehmers darstellt und gerade nicht die Aussicht auf den Verbleib in einer günstigeren Schadenfreiheitsklasse im Rahmen des Versicherungsvertrages. Dieser geringe finanzielle Vor- oder Nachteil hat eher kurzfristigen Charakter und wiegt die finanziellen Folgen im Falle eines Scheiterns des Rechtssuchenden in nahezu allen Fällen nicht auf. Die Kammer geht davon aus, dass sich ein durchschnittlich informierter Versicherungsnehmer bei der Entscheidung der Anwaltswahl gerade nicht von der Überlegung nach dem “schnellen Geld‘ leiten lässt. Sofern sich daher, wie im vorliegenden Fall, die finanziellen Vor- oder Nachteile in einem Rahmen von durchschnittlich 150,00 EUR bewegen, ist dies nicht zu beanstanden (zu letzterem vgl. auch MüKo zum WG/Richter, Band 2 §§ 100 bis 191, § 127 Rn 14)."

 

Rz. 36

Weiter heißt es in den Urteilsgründen:

Zitat

"Da nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten bereits bei Vertragsschluss für den Versicherungsnehmer feststeht, dass eine solche Rückstufung nicht erfolgt, sofern er nach seiner freien Entscheidung einen Anwalt aus dem Kreis der von der Beklagten empfohlenen Rechtsanwälte mandatiert, vermag die Kammer keine Benachteiligung für Versicherungsnehmer zu erkennen, die der Empfehlung nicht folgen und einen “eigenen‘ Anwalt beauftragen […] Gegen ein derartiges System sind nach Ansicht der Kammer grundsätzlich keine Einwände zu erheben, zumal dies bei anderen Versicherungen, etwa im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung und Teil- bzw. Vollkaskoversicherung, Standard und daher den meisten Versicherungsnehmern bekannt ist."

 

Rz. 37

Interessanterweise hat das Landgericht gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG eine Stellungnahme der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eingeholt. "In ihrer Stellungnahme vom 18.4.2011 […] hat die BaFin keinen Verstoß gegen § 127 WG bzw. § 3 Abs. 3 BRAO in dem Schadenfreiheitsrabattsystem der Beklagten erkannt. Sie hält das “Anreizsystem‘ für eine grundsätzlich geeignete Möglichkeit, das Interesse des Versicherers an niedrigen Schadenkosten durch Mandatierung bekannter, spezialisierter Anwälte umzusetzen. Ein spürbarer Druck werde auch bei einer Erhöhung auf eine Selbstbeteiligung von max. 300,00 EUR nicht ausgeübt."[43]

 

Rz. 38

Gegen die Entscheidung hat die RAK München Berufung eingelegt. Prof. Wolfgang Römer, ehemaliger Richter im Versicherungssenat des Bundesgerichtshofes und früherer V...

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