Rz. 70

Bei Anwendung englischen Erbrechts werden weitere inzidente Rechtsfragen auftreten. So wäre festzustellen, ob im Beispiel das Testament formgerecht errichtet worden ist, obwohl es ohne Beiziehung von Testamentszeugen errichtet worden ist und damit den Formanforderungen des englischen Rechts (Zweizeugentestament) nicht entspricht.

 

Rz. 71

Die Formwirksamkeit des Testaments fällt nicht unter den Systembegriff der "Rechtsnachfolge von Todes wegen" i.S.v. Art. 21 EuErbVO (vgl. Art. 23, 26 EuErbVO), sondern in den kollisionsrechtlich gesonderten Bereich der "Formwirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen". Gleiches wäre bei der Feststellung der Abstammung des Sohnes der Fall.

 

Rz. 72

Bei diesen präjudiziellen Rechtsverhältnissen handelt es sich um sog. Vorfragen. Für deren Beantwortung ist das einschlägige Sachrecht durch eine erneute Anknüpfung festzustellen. Es gilt also das Abstammungs- bzw. das Testamentsformstatut. Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre sind die Vorfragen auch dann, wenn sie im Tatbestand einer ausländischen Norm auftauchen, stets unter Rückgriff auf das deutsche IPR anzuknüpfen (selbstständige Vorfragenanknüpfung).[51] Nach der von Wilhelm Wengler begründeten Theorie der sog. unselbstständigen Vorfragenanknüpfung wäre dagegen bei Geltung ausländischen Erbstatuts dem ausländischen Kollisionsrecht – in casu dem englischen IPR – zu entnehmen, welchem Recht die Entscheidung der Vorfrage unterliegt.[52] Folge wäre, dass ein deutscher Richter die Vorfrage in unterschiedlichen Rechtsverhältnissen u.U. nach verschiedenen Rechten und mit unterschiedlichem Ergebnis zu beurteilen hätte.[53]

 

Rz. 73

Im Beispiel richtet sich bei selbstständiger Anknüpfung also gem. Art. 19 EGBGB die Abstammung nach dem Recht des Staates, in dem der Sohn seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Bei unselbstständiger Anknüpfung wäre dagegen das Abstammungsstatut nach den Regeln des englischen IPR anzuknüpfen. Hinsichtlich des Testamentsformstatuts gilt sowohl aus deutscher wie auch aus englischer Sicht das Kollisionsrecht des Haager Testamentsformübereinkommens vom 5.10.1961. Danach genügt zur Formwirksamkeit die Einhaltung des am Errichtungsort geltenden Rechts. Insoweit würde also im Beispielsfall ausreichen, dass das Testament den Regeln des französischen Rechts für die holographe Errichtung eines Testaments entsprechend verfasst wurde. Gemäß Art. 970 franz. code civil – testament holographe – muss das eigenhändige Testament vollständig eigenhändig verfasst, datiert und unterschrieben werden. Diese Erfordernisse sind hier eingehalten worden.

[51] BGH NJW 1981, 1901; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 9 II, S. 376 ff.; Palandt/Thorn, 78. Aufl. 2019, Einl. vor Art. 3 EGBGB Rn 29.
[52] Wengler, RabelsZ 8 (1934) 148; Wolff, Das internationale Privatrecht Deutschlands, 3. Aufl. 1954, S. 79; OLG Oldenburg IPRspr. 1987 Nr. 107.
[53] Für eine unselbstständige Anknüpfung von Vorfragen im Rahmen der EuErbVO nach dem IPR des auf die Erbfolge anwendbaren Rechts dagegen z.B. MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, vor Art. 20 EUErbVO Rn. 50; Palandt/Thorn, 78. Aufl. 2019, Art. 1 EUErbVO Rn. 5.

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