Rz. 116

Nach § 1628 BGB kann einem Elternteil zu einer einzelnen Angelegenheit das Alleinvertretungsrecht übertragen werden. Voraussetzung ist neben dem diesbezüglichen Antrag eines Elternteils, dass zwischen den Eltern über eine einzelne Angelegenheit kein Einvernehmen erreicht werden kann und es sich hierbei um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind handelt. Um zu ermitteln, ob eine solche vorliegt, hat man sich im Einzelfall die Frage vorzulegen, ob es mit dem – auch bei Einscheidungen nach § 1628 BGB stets im Zentrum stehenden[420] – Kindeswohl vereinbar wäre, wenn eine Entscheidung der Streitfrage unterbliebe (vgl. auch Rdn 67).

Denkbar sind etwa (zur Abgrenzung siehe auch Rdn 332 f.)[421]

das Recht zur Aufenthaltsbestimmung,[422]
Schul- und Berufsausbildung[423] des Kindes einschließlich der Wahl der Schulart,[424] der konkreten Schule,[425] Schulwechsel,[426] Zurückstellung um ein Schuljahr,[427] Wahl der Fächer und insbesondere Leistungskurse, Angelegenheiten der schulischen Mitbestimmung,[428] längerfristiger Schüleraustausch,
die Grundentscheidung für oder gegen den Kindergartenbesuch[429] bzw. den Besuch einer Kindertagesstätte,[430]
Wahl der Erziehungsgrundsätze,
Wechsel des Kindes in ein Heim/Internat,[431]
die Anmeldung des Kindes zum begleiteten Fahren ab 17 Jahren,[432]
medizinische Eingriffe,[433] sofern es sich nicht um einen Notfall handelt (dann: § 1687 Abs. 1 S. 5 BGB), und ggf. auch wichtige stationäre Untersuchungen.[434] Ebenso die Frage, ob kieferorthopädische Maßnahmen vorgenommen werden.[435] Bei Schutzimpfungen wird man differenzieren müssen: Will der Obhutselternteil schon seit längerer Zeit von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen beim Kind durchführen lassen, so handelt es sich hierbei um eine Alltagsentscheidung,[436] nicht aber die Impfung mit noch nicht mehrjährig in ihren (Neben-)Wirkungen erforschten Impfstoffen.[437] Angesichts der erheblichen Diskussionen auch unter Medizinern müssen die Eltern hier Einvernehmen herstellen oder nach § 1628 BGB verfahren. Lehnt der Obhutselternteil eine empfohlene Schutzimpfung ab, so verleiht dies der Angelegenheit erhebliche Bedeutung i.S.v. § 1628 BGB.[438]
die psychotherapeutische Behandlung des Kindes,[439]
Umgang mit Dritten (zum Umgangsbestimmungsrecht siehe § 4 Rdn 16 ff.; zur Umgangspflegschaft siehe § 2 Rdn 39),[440]
Fragen zum Unterhalt des Kindes,[441] dies umfasst auch die Geltendmachung des Barunterhalts des Kindes beim echten Wechselmodell,[442]
die Geltendmachung von Ansprüchen des Kindes aus der temporären Bedarfsgemeinschaft mit dem umgangsberechtigten Elternteil,[443]
Entscheidungen zur Anlage und Verwendung des Kindesvermögens,
Genehmigungspflichtige Geschäfte nach § 1643 BGB,[444]
die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses,[445]
die Anfechtung der Vaterschaft,[446]
je nach Einzelfall Auslandsaufenthalte des Kindes,[447] insbesondere eine Urlaubsreise der Mutter mit den Kindern in ihr weit entferntes, in einem anderen Kulturkreis liegendes und dem Kind fremdes Heimatland,[448] einer Reise in ein Krisengebiet,[449] jedenfalls bei Vorliegen von Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes in die Urlaubsregion,[450] bei konkreter Enführungsgefahr,[451]
Auswanderung des Kindes,[452]
die Entscheidung über die Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts für das Kind,[453]
die Wahl des Vornamens des Kindes,[454] die Beantragung einer Änderung des Familiennamens des Kindes,[455]
die Zustimmung zur anteiligen Auszahlung von Sozialleistungen (bezogen auf den Zeitraum der Ausübung von Umgangskontakten),[456]
die durch Taufe begründete Religionszugehörigkeit[457] und die Frage der Teilnahme am Religionsunterricht für Kinder aus konfessionslosen Familien,[458]

nicht jedoch der bloße Zeitpunkt der Taufe[459] oder Angelegenheiten, bei denen nur finanzielle Interessen der Eltern im Vordergrund stehen.[460]

 

Rz. 117

Das Gericht überträgt die Entscheidungskompetenz – gegebenenfalls auch unter Beschränkungen oder Auflagen (§ 1628 Abs. 1 S. 2 BGB) – einem Elternteil. Aufgabe des Gerichts ist es allein, die Entscheidungskompetenz zuzuweisen. Es darf keine Entscheidung anstelle des hierzu berufenen Elternteils treffen; denn dies stellte (weil nicht erforderlich) einen unverhältnismäßigen und daher verfassungswidrigen Eingriff in das Elternrecht dar.[461] Entscheidungsmaßstab ist das Kindeswohl,[462] so dass sich die gerichtliche Entscheidung daran auszurichten hat, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl orientierte Sachentscheidung zu treffen. Bei einer Schulwahl misst das Gericht an diesem Maßstab die Vorstellungen der Eltern. Es trifft aber keine Entscheidung darüber, welche Schule nach seiner Auffassung am ehesten für das Kind geeignet ist.[463]

 

Rz. 118

Die Übertragung der Entscheidungskompetenz entfaltet auch im Außenverhältnis Wirksamkeit, weil dem begünstigten Elternteil nunmehr für den übertragenen Bereich die alleinige Vertretungsbe...

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