Rz. 92

Aus § 1631b BGB folgt, dass eine mit einer Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Kindes nur auf der Grundlage einer entsprechenden familiengerichtlichen Genehmigung zulässig ist (zur jugendhilferechtlichen, mit Freiheitsentziehung verbundenen Inobhutnahme siehe § 12 Rdn 107 ff.).[306] Erfasst wird hiervon primär die Unterbringung in einem Heim, einem Krankenhaus oder generell einer geschlossenen Abteilung einer entsprechenden Einrichtung.[307] Abzugrenzen ist dies von bloßen Freiheitsbeschränkungen, wie sie gegebenenfalls von allgemeinen Erziehungsmaßnahmen erfasst sein können, etwa einem Stubenarrest. Ob von einer freiheitsentziehenden Maßnahme in diesem Sinn auch auszugehen ist, wenn es sich um eine halboffene Unterbringung handelt, ist in der Rechtsprechung umstritten, aber wohl zu bejahen, da letztlich dem Betroffenen die eigene Entscheidungskompetenz genommen wird, einen bestimmten Ort dauerhaft aufzusuchen oder zu verlassen.[308] Hierin liegt das entscheidende Abgrenzungskriterium; abzustellen ist darauf, ob das Kind die tatsächliche Möglichkeit hat, sich frei zu bewegen und selbst zu entscheiden, wohin es möchte.[309] Eine unterbringungsähnliche Maßnahme liegt vor, wenn die Tür zur Einrichtung zur Nachtzeit abgesperrt wird, ohne dass Heimpersonal in einer einem Pförtner vergleichbaren Funktion zur jederzeitigen Öffnung bereitsteht oder die Bewohner Schlüssel erhalten, sondern erst Pflegepersonal zum Öffnen der Tür geholt werden müssen, auch wenn dies ca. 30 Minuten in Anspruch nimmt.[310] Solche lediglich unterbringungsähnlichen Maßnahmen, wie auch etwa die Körperfixierung, sind von der Genehmigungspflicht nicht erfasst.[311]

Das Einverständnis des Kindes ändert an dem Genehmigungserfordernis nach § 1631b BGB nichts.[312]

 

Rz. 93

Materieller Prüfungsmaßstab ist § 1631b BGB. Nach dieser Norm ist die geschlossene Unterbringung nur zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.[313] Die gerichtliche Genehmigung einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung ist daher nur zu erteilen, wenn das wohl verstandene Interesse des Kindes eine solche Maßnahme erfordert. Im Mittelpunkt des Genehmigungsverfahrens steht die Frage, ob das Kind wegen seines körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes gerade der Pflege, Erziehung oder Verwahrung in einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Form bedarf. Indikatoren hierfür können insbesondere Selbst- und unter Umständen auch Fremdgefährdung sein;[314] in letzterem Fall steht der Gedanke im Vordergrund, dass sich das Kind dem Risiko von Notwehrmaßnahmen und Ersatzansprüchen Dritter sowie Zivil- und Strafprozessen aussetzt.[315] Typische Fälle von Selbstgefährdung sind etwa Alkohol- oder Drogenmissbrauch, akute psychiatrische Erkrankungen mit eigenverletzenden Tendenzen, etwa eine schizophrene Psychose,[316] depressiv-suizidale Zustände, vorsätzlich hochgefährliches Verhalten, z.B. das sog. "S-Bahn-Surfen", ferner Prostitution des Kindes. Fremdgefährdung kann bei Kindern angenommen werden, die permanent andere Menschen körperlich massiv angreifen oder sexuell heftig übergriffig sind.[317]

 

Rz. 94

Bei der Beantwortung der Frage, ob die geschlossene Unterbringung des Kindes aus Kindeswohlgründen erforderlich ist, ist allerdings das in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verfassungsrechtlich verbriefte Freiheitsgrundrecht des Kindes besonders zu berücksichtigen. Diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe strahlen intensiv auf die Auslegung von § 1631b BGB aus.[318] Die Freiheit der Person ist ein so hohes Rechtsgut, dass sie nur aus besonders gewichtigem Grund angetastet werden darf.[319] Die Einschränkung dieser Freiheit ist daher stets der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen. Dies schließt allerdings nicht von vornherein einen staatlichen Eingriff aus, der ausschließlich den Zweck verfolgt, jemanden vor sich selbst in Schutz zu nehmen und ihn zu seinem eigenen Wohl in einer geschlossenen Einrichtung unterzubringen.[320] Dies gilt zur Vermeidung einer lebensbedrohenden Selbstgefährdung auch dann, wenn eine gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht.[321] Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos, weil schon im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die geschlossene Unterbringung unterbleiben muss, wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann.[322] Eine geschlossene Unterbringung kommt nur als letztes Mittel und nur für die kürzeste angemessene Zeit in Betracht (vgl. auch Art. 37b UNKRK).[323] Die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung ist daher insbesondere unzulässig, solange eine Heimerziehung in einer offenen Einrichtung nicht aussichtslos erscheint.[324] In weniger gewichtigen Fällen muss eine derart einschneidende Maßnahme sogar generell unterlassen werden.[325] Je länger die Unter...

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