Rz. 85

Das Recht des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung ist durch das zum 1.1.2001 in Kraft getretene Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung[285] gesetzlich verankert worden.[286] Ein gegenteiliges elterliches Verhalten kann Schadensersatzansprüche des Kindes auslösen,[287] strafrechtliche Verfolgung[288] und/oder Maßnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB[289] nach sich ziehen. Der Gesetzgeber hielt die bloße Vorgabe eines Erziehungsstils, von dem die Eltern gegebenenfalls auch abweichen können, nicht für ausreichend;[290] deshalb sollte mit § 1631 Abs. 2 BGB ein Appell an die Eltern gerichtet und so[291] eine Bewusstseinsänderung erreicht werden.[292] In dem Spannungsgefüge der Ächtung von Gewalt in der Erziehung einerseits und der Autonomie der Familie in der Erziehung andererseits kommt §§ 8 Abs. 3, 17 Abs. 1, 2 SGB VIII erhebliche Bedeutung zu. Die Jugendämter können danach die Familien unterstützen und Hilfestellung dabei geben, wie Konfliktsituationen auch ohne Gewaltanwendung gelöst werden können.[293] In Eilsituationen kann auch eine Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII erfolgen (siehe dazu § 12 Rdn 107 ff.). Auch das Familiengericht – dort der Rechtspfleger (§ 3 Nr. 2a RPflG) – hat die Eltern gemäß § 1631 Abs. 3 BGB auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.[294]

 

Rz. 86

Der Gesetzgeber hat bewusst davon Abstand genommen, ein generelles Bestrafungsverbot zu schaffen, da eine Bestrafung selbstverständlich auch eine pädagogisch sinnvolle Reaktion auf ein kindliches Fehlverhalten sein kann.[295] Innerhalb der gesetzlichen Grenzen, wie sie sich im Wesentlichen aus § 1666 und § 1626 Abs. 2 BGB ableiten, kommt den Eltern danach, soweit das Persönlichkeitsrecht des Kindes gewahrt bleibt, die freie Entscheidung über die zu wählenden erzieherischen Maßnahmen zu. Zu denken ist hierbei etwa an eine Taschengeldkürzung, Ermahnungen, Ausgehverbot oder ein Verbot der Nutzung von Kommunikationsmitteln, wie insbesondere Handy oder Internet.

 

Rz. 87

Nach dem Wortlaut des § 1631 Abs. 2 BGB sind körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und entwürdigende Erziehungsmaßnahmen unzulässig. Bei der gerichtlichen Prüfung, ob ein Sorgerechtsmissbrauch vorliegt, der eine Kindeswohlgefährdung im Sinn des § 1666 BGB begründet, sind durch die Familiengerichte die in § 1631 Abs. 2 BGB vorgegebenen Wertungen zu berücksichtigen. Problematisch ist hierbei die Frage, ob vereinzelt gebliebene körperliche Bestrafungen familiengerichtliche Maßnahmen auslösen können,[296] weil für Maßnahmen nach § 1666 BGB eine Kindeswohlgefährdung vorliegen muss. Es ist freilich in diesem Zusammenhang nicht ausreichend, das Kind auf seinen allgemeinen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gegenüber seinen Eltern zu verweisen.[297] Denn es dürfte sich von selbst verstehen, dass diese Möglichkeit in der Praxis kaum umgesetzt werden würde. Bei den jeweils zur Diskussion stehenden erzieherischen Maßnahmen wird daher im Einzelfall zu prüfen sein, inwieweit sie das vertretbare Maß überschreiten. So rechtfertigt eine einmalige Ohrfeige, die ein Elternteil dem Kind versetzt, noch keine Trennung des Kindes von jenem; vielmehr sind mildere Maßnahmen in Betracht zu ziehen, etwa die Auflage an diesen Elternteil, hinsichtlich der Gewaltproblematik Beratungsgespräche beim Jugendamt wahrzunehmen (§ 18 SGB VIII).[298]

 

Rz. 88

Körperliche Bestrafungen erfordern regelmäßig Köperkontakte zum Kind, wie etwa Schläge,[299] aber auch festes Zupacken oder ein Angst auslösendes Bedrängen.[300] Unerheblich ist hierbei, ob das Kind diesen Zugriff als entwürdigend empfindet oder aus welchen Motiven die Bestrafung erfolgt.[301] Die Unzulässigkeit der körperlichen Bestrafung gilt unabhängig davon, ob sie vom Elternteil selbst vorgenommen, einem Dritten zur Vornahme übertragen oder dessen Handeln durch die Eltern geduldet wird.[302] Letztlich ist jede Form der körperlichen Bestrafung untersagt. Unabhängig davon, ob sie das Ausmaß einer Misshandlung erreicht, stellt sie für das Kind selbst eine Demütigung dar. Zu denken ist hier etwa an die Ohrfeige, die einem Kind oder insbesondere einem Jugendlichen in Anwesenheit Dritter gegeben wird.

 

Rz. 89

Wenn und weil sich die Erziehung am Persönlichkeitsrecht des Kindes zu orientieren hat, versteht sich von selbst, dass seelische Misshandlungen, wie etwa das Bloßstellen des Kindes vor Fremden oder der Schulklasse unzulässig sind. Unerheblich ist dabei, ob die jeweilige Maßnahme das Kind tatsächlich seelisch verletzt hat[303] oder sie überhaupt zu Erziehungszwecken eingesetzt wurde.[304]

Von entwürdigenden Maßnahmen, soweit sie nicht bereits durch die vorab dargestellten Bes­trafungsmöglichkeiten erfasst sind, ist insbesondere dann auszugehen, wenn das Ehrgefühl des Kindes in unzulässiger Weise beeinträchtigt wird, etwa durch übermäßige freiheitsentziehende Maßnahmen oder Eingriffe in den Intimbereich (zur Knabenbeschneidung siehe aber Rdn 101 ff.).

[285] BGBl I, S. 1479.
[286] Peschel-Gutzeit, FPR 2012, 195;...

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