Rz. 394

Das Gericht ist verfassungsrechtlich nicht stets gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen. In den vom Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG beherrschten Verfahren muss dem Gericht auch insoweit überlassen bleiben, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen. Sieht es von der Beiziehung eines Sachverständigen ab, muss es allerdings anderweit über eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung verfügen.[1397] Soweit zur Entscheidungsfindung erforderlich, ist das Gutachten durch den Sachverständigen mündlich erläutern zu lassen, wobei den Beteiligten Gelegenheit zu geben ist, den Sachverständigen zu befragen.[1398] Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger. Deshalb muss das Gericht dem Antrag eines Beteiligten auf mündliche Befragung des gerichtlichen Sachverständigen entsprechen. Der Antrag kann nur abgelehnt werden, wenn er zum Zweck der Verfahrensverschleppung oder rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist.[1399] Die Erläuterungen sind zwingend entweder in der Sitzungsniederschrift, einem Berichterstattervermerk oder in der Endentscheidung wiederzugeben, ansonsten liegt ein schwerwiegender Verfahrensmangel vor.[1400]

Um dem in § 155 FamFG vorgesehenen Vorrang- und Beschleunigungsgebot Rechnung zu tragen (siehe dazu Rdn 392, muss (!) das Gericht dem Sachverständigen zur Erstellung des Gutachtens eine Frist setzen (§ 163 Abs. 1 FamFG).[1401] Durch das demnächst in Kraft tretende Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit[1402] wurde u.a. § 411 ZPO geändert; nunmehr soll gegen den Sachverständigen, der die Frist zur Gutachtener­stattung überschreitet, ein Ordnungsgeld festgesetzt werden, das bis zu 3.000 EUR betragen kann.

 

Rz. 395

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens entbindet das Gericht nicht davon, den Sachverhalt selbst zu ermitteln und die vorgesehenen persönlichen Anhörungen der Beteiligten durchzuführen, schon weil es sich von diesen einen persönlichen Eindruck verschaffen muss. Wird daher die Sachverhaltsaufklärung weitgehend dem Sachverständigen überlassen, verletzt das Gericht den Grundsatz rechtlichen Gehörs, wenn es die beantragte Anhörung des Sachverständigen ablehnt.[1403] Der Amtsermittlungsgrundsatz geht umso weiter, je nachhaltiger ein bestimmtes Ermittlungsergebnis sich auf die Sorgerechtsregelung auswirken kann.[1404] Im Rahmen der Amtsermittlungspflicht sind gegebenenfalls auch die strafrechtlichen Ermittlungsakten beizuziehen, etwa wenn der Verdacht sexuellen Missbrauchs besteht.[1405] Unerheblich ist dabei, ob deren Inhalt dem Betroffenen bereits bekannt ist. Es ist ggf. Sache der im Ermittlungsverfahren aktenführenden Staatsanwaltschaft, die Übersendung der Akten zu verweigern, solange der Betroffene aus ermittlungstaktischen Gründen von deren Inhalt keine Kenntnis erlangen soll.

 

Rz. 396

In den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind die Regelungen der ZPO zum Sachverständigenbeweis[1406] über die Verweisung in § 30 Abs. 1 FamFG anwendbar. Sachverständigengutachten[1407] werden durch das Gericht von Amts wegen mit dem Ziel in Auftrag gegeben, die dem Kindeswohl am besten entsprechende Regelung zu finden.[1408] Hierdurch kann jedoch die Anhörung des Kindes selbst nicht ersetzt werden, da sich das Gericht nur durch diese den gebotenen persönlichen Eindruck verschaffen kann.[1409] Die Bedeutsamkeit der Kindesanhörung für die gerichtliche Entscheidung hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung immer wieder hervorgehoben (siehe dazu Rdn 430).[1410] Ist der wirkliche Kindeswille zuverlässig durch den Verfahrensbeistand und eine richterliche Kindesanhörung aufgeklärt worden, so ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens hierzu regelmäßig nicht erforderlich.[1411]

 

Rz. 397

Es unterliegt der Ermessensentscheidung des Gerichts, ob und zu welchem Zeitpunkt es die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlasst.[1412] Wird dieses Ermessen fehlerhaft ausgeübt, so liegt hierin ein erheblicher Verfahrensfehler.[1413] In Zweifelsfällen ist daher die Einholung des Gutachtens angezeigt.[1414] Dies gilt auch, wenn anders – etwa durch Bestellung eines Verfahrensbeistandes – nicht zuverlässig geklärt werden kann, welches der wahre Wille eines Kindes ist.[1415] Allerdings sind hier die drei Nachteile, die ein Sachverständigengutachten mit sich bringt, zu wägen:

Ein Gutachten kostet Geld, das entweder die Eltern zahlen – dann mag es dem Kind für andere Zwecke fehlen – oder in den viel häufigeren Verfahrenskostenhilfefällen der Steuerzahler.

Außerdem braucht es Zeit, während derer die Familie in der Schwebe bleibt (Hängepartie). Einstweilige Maßnahmen mögen dies mildern, beseitigen können sie den Zustand nicht.

Schließlich greift das Gutachten unve...

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