Rz. 65

Sofern das erforderliche Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung durchgeführt worden war, soll eine im Verlauf des Rechtsstreits erfolgte zulässige Klageerweiterung oder -änderung einen neuen außergerichtlichen Schlichtungsversuch nicht erforderlich machen. Das durch § 15a EGZPO und die entsprechenden Landesgesetze verfolgte Ziel der Entlastung der Gerichte lasse sich nicht mehr erreichen, wenn die Schlichtung erfolglos geblieben und die Streitigkeit bei Gericht anhängig geworden sei. Das Gerichtsverfahren sei deshalb wie jedes andere Verfahren nach den allgemeinen Vorschriften durchzuführen. Insbesondere könne die klagende Partei die Klage erweitern (§ 264 Nr. 2 ZPO) oder nach Maßgabe von § 263 ZPO ändern, ohne dass hierdurch die Zulässigkeit der Klage nachträglich entfiele. Dies folge im Übrigen auch daraus, dass § 15a EGZPO die Länder in den in Abs. 1 Nr. 1 bis 3 genannten Fällen nur ermächtige, die Klageerhebung, nicht aber auch eine Klageerweiterung oder -änderung von der vorherigen Durchführung eines Schlichtungsverfahrens abhängig zu machen.[99]

 

Rz. 66

Der V. Senat betont daher, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage grundsätzlich der der Klageerhebung (= Zustellung, §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO) ist. Dies bedeutet, dass nachträglich ein Schlichtungserfordernis nicht mehr entstehen kann. Dementsprechend wird die Durchführung eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens auch dann nicht erforderlich, wenn während eines gerichtlichen Verfahrens eine Klage teilweise zurückgenommen und so die für die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens relevante Streitwertgrenze unterschritten wird.[100] Im Einzelfall bleibt den Gerichten die Möglichkeit der Rechtsmissbrauchskontrolle (§ 242 BGB).[101]

 

Rz. 67

Etwas anderes ergibt sich für den Fall der Klageänderung auch nicht aus § 263 ZPO, wonach eine Klageänderung gegen den Willen des Beklagten nur bei Sachdienlichkeit zulässig ist. Sachdienlich ist eine Klageänderung nach der Rechtsprechung des BGH, wenn die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt und einen andernfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vermeidet.[102] Die Tatsache, dass auf diesem Weg das Erfordernis des Schlichtungsverfahrens quasi ausgehebelt wird, spielt in diesem Zusammenhang dagegen keine Rolle.[103]

 

Rz. 68

Auch ein im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens zulässigerweise vorgenommener Parteiwechsel auf Klägerseite soll keinen neuen Schlichtungsversuch erforderlich machen, wenn vor Klageerhebung bereits (vom früheren Kläger) ein Schlichtungsverfahren durchgeführt worden war.[104] Etwas anderes könne auch hier allenfalls bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten des Klägers gelten.[105]

 

Rz. 69

Die Fälle der Klageerweiterung und -änderung und die der Klagehäufung (Rdn 62 ff.) werden nur auf den ersten Blick ohne Sachgrund unterschiedlich behandelt. Eine Vergleichbarkeit scheidet schon deshalb aus, weil die Parteien vor Klageerhebung in den hier vorgestellten Sachverhalten der Klageerweiterung und -änderung bereits ein erfolgloses Schlichtungsverfahren durchgeführt haben.[106] Dies war in den Sachverhalten zur Klagehäufung entweder nicht der Fall gewesen oder aber das Schlichtungsverfahren war über die Einleitung eines gerichtlichen Mahnverfahrens umgangen worden (vgl. § 15a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 EGZPO).

 

Rz. 70

Demgegenüber ist unsicher, ob eine Klageerweiterung, mit der die für die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens relevante Streitwertgrenze überschritten wird,[107] die Unzulässigkeit der Klage vermeiden kann, auch wenn das zum Zeitpunkt der Klageerhebung an sich erforderliche Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden ist. An einer höchstrichterlichen Entscheidung dieser Konstellation fehlt es bislang. Auf den ersten Blick spricht vieles dafür, die Klage für unzulässig zu halten, da das – zum grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung – notwendige Schlichtungsverfahren nicht stattgefunden hat.[108] Richtigerweise sollte man aber nicht beim Wortlaut der Norm stehenbleiben. Anders als in den Fällen, in denen es – wie in der Grundsatzentscheidung des BGH v. 23.11.2004[109] – um die Nachholbarkeit eines Schlichtungsverfahrens im Prozess ging, wäre im Fall einer Klageerweiterung vor Erhebung einer neuen Klage ein Verfahren nach § 15a EGZPO erst gar nicht mehr durchzuführen. Die vom BGH geäußerte Sorge, es könnte kaum erwartet werden, dass ein ausschließlich zum Zwecke der Herbeiführung der Zulässigkeit eingeleitetes Schlichtungsverfahren von dem ernsthaften Willen der Beteiligten getragen wäre, das bereits kostenträchtig eingeleitete Klageverfahren nicht fortzusetzen, besteht nicht: Vielmehr könnte die Erhebung einer neuen Klage – mit der dann gleich eine Summe, die über der relevanten Streitwertgrenze liegt, eingefordert werden kann – bereits am gleichen Tag wieder erfolgen.[110] Dass der Sinn und Zweck des § 15a EGZPO und der ihn umsetzenden Landesgesetze in diesen Fällen kein...

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