Rz. 222

Zusätzlich zu den ohnehin schon bestehenden Privilegierungen des Arbeitgebers, der auf Basis eines Interessenausgleichs mit Namensliste eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht, enthält § 125 InsO weitere Erleichterungen für den Insolvenzverwalter. Hintergrund ist, dass gerade im Zusammenhang mit "sanierenden Übertragungen" der Insolvenzverwalter nicht einer erheblichen Zahl von Kündigungsschutzverfahren mit ungewissem Ausgang ausgesetzt werden soll. Gerade in derartigen Fällen wird häufig der Erwerber mit einem bestimmten Konzept zur Fortführung an den Insolvenzverwalter herantreten. Im Rahmen dieses Konzepts wird häufig auch die Forderung erhoben, dass Arbeitnehmer, die nicht zur Übernahme vorgesehen sind, auf der Grundlage einer Namensliste betriebsbedingt gekündigt werden.

 

Rz. 223

 

Praxistipp

Gerade aus Arbeitnehmersicht ist dies einer der Hauptgründe für den Abschluss einer Namensliste durch den Betriebsrat. Er steht regelmäßig vor der Entscheidung, ob er im Insolvenzverfahren die übertragende Sanierung und damit die "Rettung" zahlreicher Arbeitsplätze erschwert, wenn er seine Zustimmung zu einer Namensliste verweigert. Letztendlich hat jedoch auch hier der Betriebsrat seine Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern dergestalt wahrzunehmen, dass nur unvermeidbaren Entlassungen zugestimmt wird und darauf geachtet wird, dass bei der Auswahl soziale Gesichtspunkte zumindest ausreichend berücksichtigt werden.[247]

 

Rz. 224

Die Erleichterungen finden auch im Rahmen des § 125 InsO nur im eröffneten Insolvenzverfahren Anwendung. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann diese Privilegierung nicht für sich in Anspruch nehmen.[248]

 

Rz. 225

Um die Privilegierung in Anspruch nehmen zu können, ist zwingend ein wirksamer Interessenausgleich mit Namensliste erforderlich. In einem lediglich freiwilligen Interessenausgleich mit Namensliste, der abgeschlossen wird, weil die Voraussetzungen einer Betriebsänderung nicht gegeben sind, gelten die Privilegierungen gerade nicht.[249] Ferner muss die Kündigung auch durch die im Interessenausgleich beschriebene Betriebsänderung bedingt sein.[250] Gem. § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO wird gesetzlich vermutet, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder in einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen bedingt ist.[251]

 

Rz. 226

Hinzu kommt jedoch, dass die soziale Auswahl des § 1 Abs. 2 KSchG insofern modifiziert wird, dass diese nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten überprüft wird. Zudem wird diese soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft.

 

Rz. 227

Die besondere Erleichterung für den Insolvenzverwalter liegt darin, dass § 125 InsO klarstellt, eine grobe Fehlerhaftigkeit sei schon dann nicht gegeben, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. Insofern stellt § 125 InsO eine erhebliche Abweichung von § 1 Abs. 5 KSchG dar. Sie privilegiert insbesondere nicht nur die Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur sondern auch deren Schaffung. Diesen Gedanken kommt insbesondere bei einer sanierenden Übertragung gerade auf Basis eines Erwerberkonzepts besondere Bedeutung bei. Dabei ist der Begriff der Personalstruktur in § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO nicht mit dem der Altersstruktur gleichzusetzen. Der Begriff der Personalstruktur ist in einem umfassenderen Sinne zu verstehen.[252] Als weitere Aspekte einer Personalstruktur kommen somit auch die Ausbildung, die Qualifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb und die Bildung entsprechender Qualifikationsgruppen und Bereiche in Betracht.[253] Dabei soll dem Übernehmer gerade ein funktions- und wettbewerbsfähiges Arbeitnehmerteam zur Verfügung stehen, das durch die Kündigungen geschaffen werden kann.[254] Damit liegt hier eine ganz besondere Privilegierung vor, da selbst dann, wenn die Namensliste hinsichtlich der Sozialauswahl jegliche Ausgewogenheit vermissen lässt oder aus anderen Gründen eine grobe ­Fehlerhaftigkeit gegeben ist, dies wieder geheilt wird, wenn die Sozialauswahl der Erhaltung oder Erschaffung einer ausgewogenen Personalstruktur dient. Jedoch muss deutlich werden, dass bei der Herbeiführung der Namensliste ein Konzept bestanden hat, das sich am Fortbestand des Betriebes und damit an einer effektiven Arbeitsplatzsicherung orientiert.

 

Rz. 228

 

Praxistipp

Gerade wegen dieser weitreichenden Wirkung der Namensliste im Interessenausgleich im Insolvenzverfahren sollte der Betriebsrat sorgsam abwägen, ob das unternehmerische Konzept auch tragfähig ist. Bei aller Beschleunigung der Herbeiführung eines Interessenausgleichs in der Insolvenz ist doch zum Wohle aller Arbeitnehmer regelmäßig dieses unternehmerische Konzept zu hinterfragen. Der Betriebsrat sollte sich hier nicht mit groben Planspielen abspeisen lassen.

 

Rz. 229

Ferner enthält § 125 Abs. 2 InsO eine Erle...

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