Rz. 253

Unabhängig vom Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans bestehen weiterhin die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates aus dem BetrVG, die bei der Durchführung der Betriebsänderung zu beachten sind. Im Wesentlichen sind hierbei folgende Rechte zu beachten:

I. Mitbestimmung bei Kündigungen nach § 102 BetrVG

 

Rz. 254

Auch bei Betriebsänderungen, über die ein Interessenausgleich wirksam vereinbart worden ist, ist der Betriebsrat gem. § 102 BetrVG vor Ausspruch einer jeden Kündigung anzuhören. Die Kündigung ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt hat. Gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG ist die Kündigung nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber die Kündigung ausspricht, ohne den Betriebsrat überhaupt eingeschaltet zu haben, sondern auch, wenn das Anhörungsverfahren fehlerhaft ist. Das Anhörungsverfahren beim Betriebsrat ist auch dann nicht entbehrlich, wenn eine Namensliste zum Interessenausgleich vereinbart worden ist. Die Betriebsratsanhörung unterliegt auch dann erleichterten Anforderungen.[283] Die Kündigung ist auch dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, wenn der Arbeitgeber seiner ­Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachgekommen ist.[284]

 

Rz. 255

 

Hinweis

Häufig werden insbesondere nach Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste die Unterrichtungsrechte aus § 102 BetrVG arbeitgeberseits weniger ernstgenommen. In der Vertretung des Arbeitnehmers empfiehlt es sich, hier besonderes Augenmerk auf die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung zu legen in der Vertretung eines Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess.

 

Rz. 256

Hat der Betriebsrat sodann gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt die Zustimmung als erteilt. Einen formellen Widerspruch kann der Betriebsrat nur auf die in § 102 BetrVG stützen.

 

Rz. 257

In der Anhörung vor Ausspruch einer jeden Kündigung hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat mindestens Angaben zu geben über

die Person des zu entlassenden Arbeitnehmers einschließlich seiner Sozialdaten,
die Art der Kündigung (Änderungs- oder Beendigungskündigung),
die Form der Kündigung (außerordentliche oder ordentliche),

die Kündigungsfrist und den Kündigungstermin

sowie

die Kündigungsgründe.[285]
 

Rz. 258

 

Hinweis

Auch wenn für den Interessenausgleich der Gesamtbetriebsrat gem. § 50 Abs. 1 BetrVG originär zuständig ist, bleibt für die Einzelkündigungen stets der Betriebsrat des örtlichen Betriebes gem. § 102 Abs. 1 BetrVG anzuhören, dem der betroffene ­Arbeitnehmer angehört. Eine Delegation dieses Rechts an den Gesamtbetriebsrat ist nicht möglich.[286]

 

Rz. 259

Insbesondere im Zuge längerer Interessenausgleichsverhandlungen, vor allem wenn hierbei auch über die Namensliste diskutiert worden ist, sind beim Betriebsrat doch erhebliche Vorkenntnisse über die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe vorhanden. Insofern kann auf diese verwiesen werden.

 

Rz. 260

Zulässig ist es auch, mit dem Abschluss des Interessenausgleichs auch parallel die Anhörung des Betriebsrates zu vollziehen. Es muss sich hier jedoch um einen separaten Akt handeln, der auch im Interessenausgleich festgehalten werden kann. Der Abschluss über den Interessenausgleich ist jedoch nicht zugleich und automatisch die Anhörung des Betriebsrates bezüglich der auszusprechenden Kündigungen.[287]

 

Rz. 261

Widerspricht der Betriebsrat aufgrund eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses innerhalb der Wochenfrist schriftlich unter Angaben von Gründen, so wird an diesen ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers bis zum Abschluss des Kündigungsverfahrens geknüpft. Erhebt der gekündigte Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage, so ist er zwischen Ablauf der Kündigungsfrist und bis zum Ende des Kündigungsschutzprozesses einstweilen zu beschäftigen. Die Durchsetzung dieses Anspruchs kann auch im einstweiligen Verfügungsverfahren erfolgen.[288]

 

Rz. 262

 

Hinweis

Die Frage, ob im Nachgang zu den Interessenausgleichsverhandlungen der Betriebsrat den Kündigungen widerspricht, hängt vor allem davon ab, wie konstruktiv die Verhandlungen verlaufen sind und wie sehr die Arbeitgeberseite dem Betriebsrat von der Notwendigkeit der Betriebsänderung überzeugen konnte. Die Androhung massenhafter Widersprüche kann in den Interessenausgleichsverhandlungen natürlich auch eingesetzt werden, um den Arbeitgeber zu bewegen, ggf. mildere Maßnahmen umzusetzen, als ursprünglich geplant.

[283] BAG v. 21.2.2002 – 2 AZR 581/00, BAG EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 10 = NZA 02, 1360
[285] Hümmerich/Holthausen, Das arbeitsrechtliche Mandat, § 10 Rn 114 ff.
[287] LAG Düsseldorf v. 21.4.1998, 3 (11) (18) Sa 1968/97, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 69.

II. Mitbestimmung gem. § 99 BetrVG insbesondere bei Versetzungen und Umgruppierungen

 

R...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge