Rz. 102

Neben der Unterrichtung des Betriebsrates im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsänderung muss der Arbeitgeber noch beachten, dass er auch den Wirtschaftsausschuss gem. § 106 Abs. 2 BetrVG rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten hat. Ferner ist der Sprecherausschuss gem. § 32 Abs. 2 SprAuG der leitenden Angestellten zu berücksichtigen sowie auch die Schwerbehindertenvertretung gem. § 95 Abs. 2 SGB IX mit einzubinden. Zu denken ist auch an die Unterrichtung des europäischen Betriebsrates.

1. Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses

 

Rz. 103

Der Wirtschaftsausschuss ist gem. § 106 Abs. 1 BetrVG in allen Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern zu bilden. Er hat die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten. Zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten, über die der Unternehmer den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend zu unterrichten hat, zählen auch die in § 111 BetrVG aufgeführten Fälle von Betriebsänderungen. Die Unterrichtung nach § 106 BetrVG ist der Beteiligung nach § 111 BetrVG zeitlich vorgelagert.[132] Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Betriebsänderung aus § 111 S. 3 BetrVG sind weitgehend deckungsgleich mit den wirtschaftlichen Angelegenheiten aus § 106 Abs. 3 Nr. 5, 6, 7, 8 und 9 BetrVG.

 

Rz. 104

Dies bedeutet, dass streng genommen der Unternehmer auch zeitlich noch zu einem früheren Zeitpunkt den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die erforderlichen Unterlagen vorzulegen hat. Dies bedeutet, dass der Wirtschaftsausschuss bereits in einem Stadium informiert werden muss, noch bevor der Unternehmer eine Entscheidung getroffen hat. Schon der Entschluss zur Planung kann Unterrichtungspflichten auslösen. Bereits in diesem Stadium werden Weichen gestellt für eine spätere Entschlussfassung. Dem Wirtschaftsausschuss kommt eine Unterstützungsfunktion für den Gesamtbetriebsrat bzw. den örtlichen Betriebsrat zu. Damit wird für diesen der Zeitpunkt der Unterrichtung noch weiter vorverlagert.[133] Jedoch kann sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen, dass er den Wirtschaftsausschuss bereits unterrichtet habe und sich damit seiner Verpflichtung, den Betriebsrat zu unterrichten und mit diesem zu beraten, entziehen.[134]

[132] Fitting u.a., § 111 BetrVG Rn 102.
[133] Vgl. Fitting u.a., § 106 BetrVG Rn 30 ff.
[134] Fitting u.a., § 111 BetrVG Rn 111.

2. Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung

 

Rz. 105

Gem. § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung rechtzeitig und umfassend in allen Angelegenheiten zu unterrichten, die den einzelnen schwerbehinderten Menschen oder die Gruppe von Schwerbehinderten im Betrieb berührten. Diese Vorschrift begründet eine informationelle Allzuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung und korrespondiert mit der Aufgabenstellung aus § 178 Abs. 1 S. 1 SGB IX, wonach sie als Interessenvertreterin den schwerbehinderten Menschen fördernd, beratend und helfend zur Seite zu stehen hat.[135] Damit hat der Arbeitgeber bei Betriebsänderungen, die auch schwerbehinderte Menschen im Betrieb betreffen können, darauf zu achten, dass er auch die Schwerbehindertenvertretung parallel umfassend und unverzüglich über die geplante Betriebsänderung unterrichtet. Da es sich bei der Schwerbehindertenvertretung um ein eigenständiges Organ handelt, ist mit der Unterrichtung des Betriebsrates nicht gleichzeitig auch die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung erfüllt. Zu beachten ist, dass auch hier die Verletzung der Unterrichtungs- und Anhörungspflicht gem. § 238 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX als Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Dies gilt sowohl für das gänzliche Unterlassen der Unterrichtung als auch für die nicht richtige, unvollständige oder nicht rechtzeitige Unterrichtung.

[135] Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, § 178 Rn 35.

3. Unterrichtung des Sprecherausschusses der leitenden Angestellten

 

Rz. 106

Besteht ein Sprecherausschuss der leitenden Angestellten im Betrieb, so ist dieser als eigenständiges Organ ebenfalls gem. § 32 Abs. 2 BetrVG über geplante Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG, die auch wesentliche Nachteile für leitende Angestellte zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassen zu unterrichten. Sofern den leitenden Angestellten infolge der geplanten Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile entstehen, hat der Unternehmer mit dem Sprecherausschuss über Maßnahmen zum Ausgleich oder zur Milderung dieser Nachteile zu beraten. Jedoch kann der Sprecherausschuss keinen Interessenausgleich vereinbaren und auch keinen Sozialplan erzwingen. Können sich Sprecherausschuss und Arbeitgeber jedoch auf Leistungen für den Ausgleich zu erwartender wirtschaftlicher Nachteile einigen, kann hierzu eine Vereinbarung i.S.v. § 28 SprAuG abgeschlossen werden, die letztlich rechtlich wie ein Sozialplan wirkt. Auch die Verletzung dieser Unterrichtungspflichten stellt eine Ordnungswidrigkeit gem. § 36 SprAuG dar.

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