Rz. 69

So mancher Versicherungssachbearbeiter scheint überdies besondere Freude an der Vielzahl von sinnlosen und nicht weiterführenden "Schiebeverfügungen" einerseits, Anspruchskürzungen aller Art andererseits zu haben. Seit der Einführung des "Schadensmanagements der Versicherer" und der damit bezweckten Ausschaltung der Anwälte bei Schadensregulierungen gilt: Je kleiner der Schaden, umso komplizierter, langwieriger und nervenaufreibender wird die Regulierung betrieben.

 

Rz. 70

Seit ein paar Jahren ist zu beobachten, dass die Regulierung von Schäden zunehmend bewusst verschleppt wird, und die Geschädigten müssen demzufolge immer öfter vor Gericht ziehen, um ihre berechtigten Ansprüche einzuklagen. Begünstigt wird dieses Phänomen dadurch, dass unser Haftungsrecht eine nachhaltige Sanktion solchen Regulierungsverhaltens nicht vorsieht. Demgegenüber gewährt z.B. das amerikanische Haftungs- und Versicherungsrecht den Geschädigten in Fällen der Blockade oder Verschleppung von Entschädigungsleistungen einen gesonderten, dem moralischen Unwert des Verhaltens Rechnung tragenden Schadensersatzanspruch gegenüber dem Versicherer (Hennemann, Welt am Sonntag Nr. 12, 23.3.2003).

 

Rz. 71

Opfer und Geschädigte werden oft wie lästige Bittsteller behandelt. Das Verhalten der Versicherer scheint dabei von der Maxime geprägt zu sein, dass es gegenwärtig vorzuziehen ist, Schadenregulierungen teils unvertretbar zu verschleppen oder Entschädigungsleistungen gänzlich abzulehnen, statt angemessen und zügig zu regulieren. Während bei Versicherern lange Zeit der Grundsatz herrschte, die Führung von Prozessen tunlichst zu vermeiden, sie aber – wenn sich die Prozessführung nicht vermeiden lässt – dann tunlichst zu gewinnen, ist auch diese Regel inzwischen außer Kraft gesetzt (Hennemann, Welt am Sonntag Nr. 12, 23.3.2003).

 

Rz. 72

Es verstärkt sich auch zunehmend der Eindruck, dass sogleich nach Einschaltung eines Anwaltes – nicht nur bei Regulierungen mit der Allianz-Versicherung – eine zuvor vielleicht noch zügige Regulierung plötzlich ins Stocken gerät. Mittlerweile erklären Sachbearbeiter von Versicherern gegenüber dort sich nach dem Regulierungsstand erkundigenden Geschädigten auch unverhohlen, ohne die Einschaltung eines Anwaltes wäre der Schaden schon längst reguliert. Plötzlich benötigt man (bei einem klassischen Auffahrunfall oder Stoppschildverstoß!) nun doch die Ermittlungsakte und überraschenderweise werden plötzlich völlig unsinnige Mithaftungseinwendungen erhoben.

 

Rz. 73

Es ist also zunehmend beliebt geworden, Ausreden zu erfinden, mit denen die Regulierungsverzögerung gerechtfertigt werden soll. In den meisten ersten Antwortschreiben des Versicherers heißt es, der VN habe den Schaden noch nicht gemeldet. Dieser Einwand ist besonders unsinnig, weil – wie nachstehend (siehe Rdn 320) ausgeführt – der VN verpflichtet ist, den Schaden binnen Wochenfrist seinem Versicherer zu melden. Unterlässt er das, begeht er eine Obliegenheitsverletzung und ihm kann der Versicherungsschutz entzogen werden. Also ist oftmals zu vermuten, dass die Schadensmeldung tatsächlich schon längst erfolgt ist. Jedenfalls kann eine Regulierungsverzögerung oder -verweigerung nicht auf ein solches Argument gestützt werden.

 

Rz. 74

Einem Versicherer, der mit dem Einwand nicht zahlt, der VN habe den Schaden noch nicht gemeldet, ist entgegenzuhalten, dass dieses aufgrund des Direktanspruchs gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG kein Regulierungshindernis in Bezug auf die Haftung im Außenverhältnis ist, sondern ausschließlich im Innenverhältnis zu dem eigenen VN Wirkungen hat. Dem Versicherer stehen dann die versicherungsvertraglichen Konsequenzen gegenüber dem VN zur Verfügung, den Versicherungsvertrag ggf. kündigen und Regress bei dem VN nehmen zu können (vgl. OLG Saarbrücken zfs 1992, 22). Für die Frage der Regulierung der Schadensersatzansprüche des Geschädigten ist das alles gänzlich ohne Bedeutung und vor allem kein Grund, die Regulierung zu behindern.

 

Rz. 75

Der Versicherer hat darüber hinaus die Möglichkeit und Verpflichtung, sich in geeigneter anderer Weise Kenntnis von dem Schadenshergang zu verschaffen, z.B. durch telefonische Nachfrage bei der Polizei, Einsatz ihrer Schadens-Außenregulierer, Ausübung von Druck auf den VN und dergleichen.

 

Rz. 76

Das Gleiche gilt bei einer offenkundig falschen Unfallschilderung des Gegners gegenüber seinem Versicherer, wenn dieser es zum Anlass nimmt, daraufhin irgendwelche – meist unspezifizierte – weitere Ermittlungen anzustellen. Bei unzutreffender Schadenschilderung begeht der VN ebenfalls eine Obliegenheitsverletzung und riskiert den Versicherungsschutz.

 

Rz. 77

Oft wird seitens des gegnerischen Versicherers gefordert, er müsse erst einmal den Eingang der Ermittlungsakte abwarten und diese einsehen. Dann fordert er einen Ergänzungsaktenauszug an, dann vielleicht noch einen weiteren, dann möchte er den Ausgang des Ermittlungsverfahrens abwarten usw.

 

Rz. 78

In all diesen Fällen ist es gut, wenn die Kostendeckungszusage des Rechtssc...

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