Rz. 653

Die Kündigung von Organen der Betriebsverfassung, nämlich

Mitgliedern des Betriebsrates,
Mitgliedern einer Jugendvertretung,
Mitgliedern eines Wahlvorstandes,
eines Wahlbewerbers (§ 15 Abs. 3 BetrVG) oder
eines Arbeitnehmers, der zu einer Wahl i.S.d. BetrVG eingeladen hat (§ 15 Abs. 3a BetrVG),

ist gem. § 15 Abs. 4 KSchG nur ausnahmsweise zulässig, nämlich wenn der Betrieb ganz oder teilweise stillgelegt wird,[632] oder wenn der Arbeitsplatz wegen fehlender anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten wegfällt (§ 15 Abs. 3, 4 KSchG).

 

Rz. 654

 

Hinweis

Der Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG gilt auch bei Massenänderungskündigungen.[633]

 

Rz. 655

Die Kündigung ist frühestens zum Zeitpunkt der Betriebsstilllegung zulässig (§ 15 Abs. 4 KSchG). Verzögert sich die Stilllegung, endet das Arbeitsverhältnis mit der tatsächlichen Betriebsstilllegung.[634] Eine Betriebsstilllegung ist anzunehmen, wenn eine Auflösung der Betriebsgemeinschaft vorliegt, womit dann auch die Grundlage für das Amt des Betriebsrats wegfällt.

 

Rz. 656

Läuft die ordentliche Kündigungsfrist über den Termin der tatsächlichen Betriebsstilllegung hinaus, endet das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nach der tatsächlichen Betriebsstilllegung.

 

Rz. 657

Der Kündigungsschutz des wegen Betriebsstilllegung gekündigten Betriebsratsmitglieds ergibt sich aus § 15 Abs. 4 KSchG, nicht aus § 1 KSchG. Eine Betriebsstilllegung liegt nach der Auffassung des LAG Nürnberg nicht vor, wenn drei Altersteilzeitmitarbeiter während ihrer aktiven Phase noch 9/15/16,5 Monate über den behaupteten Stilllegungstermin hinaus mit – behaupteten – Aufräumungs- und Abwicklungsarbeiten beschäftigt werden. Ist die Weiterbeschäftigung der Altersteilzeitmitarbeiter schon bei Ausspruch der Kündigung des Betriebsratsmitglieds beabsichtigt, ist die Kündigung des Betriebsratsmitglieds unwirksam.[635]

 

Rz. 658

Bleibt der Betriebsrat im Amt, solange er noch betriebsverfassungsrechtliche Pflichten erfüllen und Rechte wahrnehmen muss (sog. Restmandat), erhalten die Betriebsratsmitglieder in analoger Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG eine Vergütung, die sich an der tatsächlichen Arbeitszeit orientiert.

 

Rz. 659

 

Hinweis

Die Beendigung eines bei Betriebsschließung noch anhängigen Beschlussverfahrens zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat schafft für sich gesehen aber keinen Regelungsbedarf, der ein Restmandat begründet.[636]

 

Rz. 660

Ein solches Restmandat besteht auch dann nicht mehr, wenn sämtliche Betriebsratmitglieder vor der Betriebsschließung aus dem Arbeitsverhältnis bereits ausgeschieden sind; eine Gegenausnahme – die der gekündigte Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen habe – soll nur dann gegeben sein, wenn das Ausscheiden der Betriebsratmitglieder aus ihren Arbeitsverhältnissen ihrerseits durch die Betriebsschließung bedingt war.[637]

 

Rz. 661

 

Praxistipp

Vor dem Ausspruch einer solchen Kündigung eines Betriebsratmitglieds ist nicht die Zustimmung gem. § 103 Abs. 2 BetrVG einzuholen, da es sich bei einer nach § 15 KSchG ausnahmsweise zulässigen Kündigung eines Betriebsratmitglieds nicht um eine außerordentliche, sondern um einen Sonderfall einer ordentlichen Kündigung handelt.[638]

 

Rz. 662

Es sind aber das Anhörungserfordernis gem. § 102 BetrVG und das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl unter mehreren Betroffenen zu beachten.[639]

 

Rz. 663

Wird nur ein Betriebsteil stillgelegt, sind die Betriebsratsmitglieder zunächst in die nicht stillgelegten Betriebsabteilungen zu übernehmen (§ 15 Abs. 5 S. 1 KSchG). Nur wenn die Übernahme in die fortgeführten Betriebsteile aus betrieblichen Gründen ausgeschlossen ist, ist eine Kündigung möglich (§ 15 Abs. 5 S. 2 KSchG).

 

Rz. 664

Kommt in der Insolvenz bei einer Betriebsänderung ein Interessenausgleich mit namentlicher Benennung (Namensliste) der zu kündigenden Arbeitnehmer zustande, kann die soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (siehe § 2 Rdn 130 ff.). Nicht fehlerhaft ist es, wenn in die Sozialauswahl Arbeitnehmer mit besonderem Kündigungsschutz nicht einbezogen werden. Gesetzliche Kündigungsverbote gehen dem allgemeinen Kündigungsschutz als spezialgesetzliche Regelungen vor.

 

Rz. 665

 

Hinweis

Die Zulässigkeit der Kündigung von Betriebsratsmitgliedern ist auch in der Insolvenz allein an § 15 Abs. 1, 4, 5 KSchG, nicht an § 125 InsO zu messen. § 125 InsO (Vermutungswirkung eines Interessenausgleichs mit Namensliste) sei insoweit nur lex specialis zu § 1 KSchG, nicht aber zu § 15 KSchG.[640] Auch in der Insolvenz genießen Betriebsratsmitglieder daher den besonderen Kündigungsschutz. Sie sind nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen. Eine ordentliche Kündigung ist ihnen gegenüber nur unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG möglich.[641]

[632] BAG v. 1.2.1957 – 1 AZR 478/54, BAGE 3, 341; BAG v. 29.3.1977 – 1 AZR 46/75, DB 1977, 1320; zur Kündigung eines Betriebsratmitglieds nach der GesO siehe Schulte-Kaubrügger, ZInsO 1998, 81 f.

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