Rz. 448

Als zulässig wird aufgrund der seit dem 1.1.1999 wiederhergestellten Fassung des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ("sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse") auch die Bildung von Alters(struktur)gruppen bei der Sozialauswahl zur Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur angesehen.[460] Die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur konnte – auch für die vor dem 1.1.2004 geltende Fassung des Kündigungsschutzgesetzes – ein sonstiges berechtigtes betriebliches Bedürfnis i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG a.F. sein.[461] Darin liegt auch kein Verstoß gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung.[462]

 

Rz. 449

Dabei macht das Kündigungsschutzgesetz dem Arbeitgeber keine inhaltlichen oder zeitlichen Vorgaben für die Bildung der entsprechenden Altersgruppen. Ob ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis am Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur besteht, ist immer im Hinblick auf die speziellen Betriebszwecke und ggf. deren Umsetzung zu entscheiden. Der Arbeitgeber hat bei der Bildung der Altersgruppen auch einen gewissen Beurteilungsspielraum.[463]

 

Rz. 450

 

Praxistipp

Die Staffelung soll dabei innerhalb der auswahlrelevanten Arbeitnehmergruppen, nicht über die gesamte Belegschaft gebildet werden.[464] Üblich sind dabei Dreier-, Vierer- oder Fünfer-Staffelungen.[465]

 

Rz. 451

Das BAG hat dazu aber klargestellt, dass es im Rahmen der Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess zum schlüssigen Sachvortrag des Arbeitgebers gehöre, im Einzelnen darzulegen,

welche konkreten Nachteile sich ergeben würden, wenn er die zu kündigenden Arbeitnehmer allein nach dem Maßstab des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG a.F. auswählen würde, und
wie viel Prozent der potenziell zu kündigenden Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung den jeweiligen Altersgruppen angehörten und wie die einzelnen Kündigungen auf die einzelnen Altersgruppen verteilt worden sind, damit die bislang bestehende Altersstruktur erhalten bleibt.[466]
 

Rz. 452

Ähnlich hatte zuvor bereits das LAG Schleswig-Holstein entschieden:[467] Bei einer Kündigung in der Insolvenz, die nach Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste ausgesprochen wird, hat der Insolvenzverwalter, wenn er sich auf die Erhaltung oder Herstellung einer ausgewogenen Personalstruktur beruft, darzulegen, wie die Personalstruktur beschaffen ist und welche Struktur erreicht werden soll. Es reicht nicht aus, sich auf den Interessenausgleich zu berufen. Dieser begründet insoweit keine Vermutung der Richtigkeit.

 

Rz. 453

Diese Rechtsprechung hat das BAG für Betriebsänderungen im Geltungsbereich des § 17 KSchG allerdings inzwischen aufgeweicht: Zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG kann eine Sozialauswahl nach Altersgruppen zulässig sein. Jedenfalls dann, wenn die Anzahl der Entlassungen innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht, ist ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur – widerlegbar – indiziert. Der 2. Senat hat dabei offengelassen, ob für den Fall, dass sich die Massenkündigungen auf mehrere Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer verteilen, die Erleichterung bei der Darlegung des berechtigten betrieblichen Interesses auch dann gerechtfertigt ist, wenn zwar die Anzahl der insgesamt zu entlassenden Arbeitnehmer die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht, nicht aber die der Entlassungen innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer. Die konkrete Altersgruppenbildung muss zur Sicherung der bestehenden Altersstruktur der Belegschaft geeignet sein. Sind mehrere Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer von den Entlassungen betroffen, muss auch innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppe eine proportionale Berücksichtigung der Altersgruppen an den Entlassungen möglich sein. Die betriebsweite Sicherung der bestehenden Altersstruktur muss die Folge der proportionalen Beteiligung der Altersgruppen an den Entlassungen innerhalb der einzelnen Vergleichsgruppen sein.[468]

 

Rz. 454

 

Beispiel

In dem der Entscheidung vom 17.3.2000[469] des LAG Düsseldorf zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat vereinbart, dass die Sozialauswahl im Rahmen separater Altersgruppen erfolge. Diese waren wie folgt gegliedert: 18 bis 25 Jahre, 26 bis 30 Jahre, 31 bis 35 Jahre, 36 bis 40 Jahre, 41 bis 45 Jahre, 46 bis 50 Jahre, 51 bis 55 Jahre und älter als 55 Jahre. In einer weiteren Vereinbarung waren dann die Sozialauswahlkriterien nebst einer Punktegewichtung festgelegt worden. Folge dieser Vorgehensweise war, dass der Klägerin (44 Jahre, sechs Jahre Betriebszugehörigkeit, ledig, keine Kinder) gekündigt wurde, obwohl es andere ledige und kinderlose Arbeitnehmer auf vergleichbaren Arbeitsplätzen gab, die mehrere Jahre oder Jahrzehnte jünger waren.

 

Rz. 455

Zur Begründung der Zulässigkeit einer Bildung von Altersgruppen zur Durchführung der Sozialauswahl verweist das LAG Düsseldorf auf die durch § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ge...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge