Rz. 439
Der Vorrang betrieblicher Gründe, also der Ausschluss bzw. die Überwindung der sozialen Auswahl nach der so genannten Leistungsträger-Regelung bis zum 31.12.1998, war zwischenzeitlich ebenfalls eingeschränkt worden. Nach der Regelung in § 1 Abs. 3 KSchG seit dem 1.1.1999 mussten soziale Gesichtspunkte ausnahmsweise dann nicht berücksichtigt werden, wenn betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige Bedürfnisse die weitere Beschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer bedingen und damit der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehen.
Rz. 440
Eine erweiternde Neuregelung ist durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 mit Wirkung ab 1.1.2004 erfolgt.[453] Danach sind Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.
Rz. 441
Nach früherem Recht konnte ein sog. Leistungsträger nur dann – auf der dritten Stufe – aus der Sozialauswahl herausgenommen werden, wenn die Leistungsunterschiede so erheblich waren, dass der Arbeitgeber im Interesse eines geordneten Betriebsablaufs auf ihn nicht verzichten konnte.[454] Der Arbeitgeber trug dazu die volle Darlegungslast. Der Betriebsrat war auch zu diesem Aspekt nach § 102 BetrVG im Einzelnen anzuhören.[455]
Rz. 442
Nunmehr genügt insoweit unter bloßen Nützlichkeitserwägungen die Erfüllung eines der drei genannten Kriterien (Kenntnisse, Fähigkeiten, Leistungen), um den Leistungsträger zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur aus der Sozialauswahl herausnehmen zu können.[456]
Rz. 443
Hinweis
Nach der jüngeren Rechtsprechung des BAG kann eine Herausnahme einzelner Mitarbeiter aus der Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer auch aufgrund von Kriterien erfolgen, die mit dem Arbeitsverhältnis in keinem unmittelbaren Bezug stehen.[457]
Rz. 444
Nach der Auffassung des LAG Köln[458] darf jedoch keine generelle Herausnahme von Leistungsträgern aus der Sozialauswahl erfolgen. Bei der Entscheidung, welchen Arbeitnehmern betriebsbedingt gekündigt werden soll, könne der Arbeitgeber zwar so genannten Leistungsträger von der Sozialauswahl ausnehmen. Dabei müsse aber immer eine einzelfallbezogene Interessenabwägung stattfinden. Deshalb sei eine generelle Herausnahme aller Arbeitnehmer mit einer bestimmten Ausbildung aus der Sozialauswahl unzulässig.
Rz. 445
Wird ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen (siehe § 2 Rdn 112 ff.), ist außerhalb wie innerhalb eines Insolvenzverfahrens auch die Herausnahme so genannter Leistungsträger aus der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG, § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO). Findet der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit auf die Prüfung der sozialen Auswahl Anwendung, braucht der Arbeitgeber die Gründe für die fehlende Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern und die Ausklammerung von Leistungsträgern zunächst nur in "groben Zügen" darzulegen.[459]
Rz. 446
Bestimmte Mitarbeiter können nunmehr somit auch zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur von der Sozialauswahl ausgenommen werden. Unklar ist auch noch, ob nur die Altersstruktur des Betriebes gemeint oder aber auch die Sicherung anderer Personalstrukturen ermöglicht werden soll (etwa Geschlechterquote, Ausbildungsstruktur).
Rz. 447
Hinweis
Die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur wird dadurch aber – außerhalb der Insolvenz – nicht ermöglicht. § 125 InsO gestattet dies nur im Rahmen eines Interessenausgleichs im Insolvenzverfahren.
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