Rz. 389

Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung liegt nur vor, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, der bei Ausspruch der Kündigung bestehenden betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art als durch eine Beendigungskündigung zu entsprechen. Das Merkmal der "Dringlichkeit" der betrieblichen Erfordernisse konkretisiert den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (ultima-ratio-Prinzip), aus dem sich ergibt, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine beiden Parteien objektiv mögliche und zumutbare Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen anbieten muss.[405]

 

Rz. 390

Hat der Arbeitnehmer eine zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz zu geänderten Bedingungen abgelehnt, war nach früherer Rechtsprechung die Beendigungskündigung ohne Weiteres zulässig.

 

Rz. 391

Die Rechtsprechung zum Vorrang der Änderungskündigung vor der Vollkündigung hat das BAG[406] aber inzwischen verschärft. Danach hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu geänderten Bedingungen grundsätzlich anzubieten. Das Angebot kann lediglich in Extremfällen (z.B. offensichtlich völlig unterwertige Beschäftigung) unterbleiben. Macht der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung dem Arbeitnehmer das Angebot, den Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen, und lehnt der Arbeitnehmer dieses Angebot ab, so ist der Arbeitgeber regelmäßig nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet, trotzdem eine Änderungskündigung auszusprechen. Eine Beendigungskündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung annehmen. Spricht der Arbeitgeber ohne vorheriges oder gleichzeitiges Angebot der geänderten Arbeitsbedingungen sofort eine Beendigungskündigung aus, so ist diese Kündigung regelmäßig sozialwidrig. Es soll in derartigen Fällen nicht fiktiv zu prüfen sein, ob der Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen bei einem entsprechenden Angebot vor oder mit Ausspruch der Kündigung zumindest unter Vorbehalt angenommen hätte.

 

Rz. 392

Grundsätzlich hat nach der geänderten Rechtsprechung des BAG also der Arbeitnehmer selbst zu entscheiden, ob er eine Weiterbeschäftigung unter möglicherweise erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar hält oder nicht.

 

Rz. 393

 

Hinweis

Das BAG hat noch nicht abschließend entschieden, wann konkret eine Änderungskündigung deshalb unterbleiben darf, weil der Arbeitgeber bei vernünftiger Betrachtung nicht mit einer Annahme des neuen Vertragsangebots durch den Arbeitnehmer rechnen konnte und ein derartiges Angebot im Gegenteil eher beleidigenden Charakter gehabt hätte. Jedenfalls kann es sich insoweit nur um Extremfälle handeln.[407]

 

Rz. 394

 

Beispiel

So dürfte etwa das Angebot einer Teilzeitbeschäftigung, wenn es die einzige Alternative zu einer Beendigungskündigung darstellt, seitens des Arbeitgebers nicht mit der Begründung unterbleiben, mit dem verbleibenden Einkommen könne der Arbeitnehmer seine Familie nicht ernähren; ob die Möglichkeit eines Zuverdienstes besteht oder ob gerade eine Teilzeitbeschäftigung den Interessen des Arbeitnehmers entgegenkommt, kann allein der Arbeitnehmer beurteilen.

 

Rz. 395

Auch die vor Ausspruch der Kündigung erfolgte Ablehnung des Änderungsangebots durch den Arbeitnehmer entbindet nach der geänderten Rechtsprechung des BAG die Arbeitgeber nicht von ihrer Verpflichtung, dem Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen in Form einer Änderungskündigung anzubieten, anstatt sofort eine Beendigungskündigung auszusprechen.

 

Rz. 396

Es bestehen aus Sicht des BAG auch erhebliche Bedenken, wenn dem Arbeitnehmer bei einem Änderungsangebot ohne gleichzeitige Kündigung eine Überlegungsfrist von nur einer Woche eingeräumt werde, während ihm bei einer Änderungskündigung die i.d.R. deutlich längere Frist des § 2 Abs. 2 KSchG zur Verfügung steht.[408] Eine einwöchige Überlegungsfrist für die Frage der endgültigen Annahme, endgültigen Ablehnung oder Annahme unter einem § 2 KSchG entsprechenden Vorbehalt würde die Rechte des Arbeitnehmers entgegen § 2 KSchG jedenfalls dann verkürzen, wenn die Kündigungsfrist länger als eine Woche bis zu drei Wochen beträgt.[409]

 

Rz. 397

Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot nicht an, ist kein Änderungsvertrag zustande gekommen und der Arbeitgeber muss vor Ausspruch einer Beendigungskündigung eine Änderungskündigung aussprechen. Es ist dem Arbeitnehmer nur dann verwehrt, den Arbeitgeber bei einer ausgesprochenen Beendigungskündigung auf eine mögliche Änderungskündigung mit dem abgelehnten Inhalt zu verweisen, wenn er das Änderungsangebot zuvor vorbehaltlos und endgültig abgelehnt hat. Hat der Arbeitnehmer erkennen lassen, dass er das Änderungsangebot in...

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