Rz. 192

Ggü. der bedürftigen Partei ist der soziale Rechtsstaat zur Gewährung von PKH verpflichtet. Defizite in diesem Bereich können das aus Art. 6 Abs. 1 EMRK abgeleitete Recht auf konkreten und wirksamen Zugang zu den Gerichten verletzen.[491] Im öffentlichen Interesse wird der Rechtsanwalt in den Fällen der §§ 48 bis 49a BRAO verpflichtet, die Vertretung oder Beistandschaft für diejenige Partei zu übernehmen, der er gerichtlich beigeordnet worden ist.[492] Die Beiordnung begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis. Weitergehende Pflichten des Rechtsanwalts können sich aus einem Anwaltsvertrag ergeben, der aber erst mit einer Beauftragung durch die Partei zustande kommt.[493] Bis dahin ist der beigeordnete Anwalt auch nicht Vertreter der Partei i.S.v. § 85 Abs. 2 ZPO.[494] Dabei steht es der Partei allerdings frei, ob sie mit dem beigeordneten Rechtsanwalt einen solchen Anwaltsvertrag schließt oder nicht. Der Anwalt kann hingegen einem gesetzlichen Kontrahierungszwang unterliegen und ist dann verpflichtet, ein Angebot der Partei zum Abschluss eines Anwaltsvertrages anzunehmen.

 

Rz. 193

Gem. § 59l BRAO kann eine Rechtsanwaltsgesellschaft als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte beauftragt werden, wodurch sie die Rechte und Pflichten eines Rechtsanwalts hat, auch wenn sie durch ihre Organe und Vertreter handelt, in deren Person die für die Erbringung rechtsbesorgender Leistungen gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen müssen. Daher kann die Gesellschaft als solche einer Partei i.R.d. Bewilligung von PKH beigeordnet werden. Ähnliches gilt für die Partnerschaftsgesellschaft, bei der § 7 Abs. 4 PartGG es zulässt, die Gesellschaft als Prozess- und Verfahrensbevollmächtigte zu beauftragen. Im Hinblick auf die Parteifähigkeit einer in der Rechtsform der GbR betriebenen Anwaltssozietät wäre es daher mit der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht vereinbar, die Beiordnungsmöglichkeit auf Rechtsanwälte als Einzelpersonen zu beschränken.

Auch der Grundsatz prozessualer Waffengleichheit steht der Konstellation entgegen, dass eine vermögende Partei in der Lage wäre, für sich eine Anwaltssozietät zu verpflichten, während eine auf PKH angewiesene Partei jeweils nur durch einen einzelnen Rechtsanwalt vertreten werden könnte.[495] Die Beiordnung einer Anwaltssozietät anstelle eines bestimmten Sozius gewährleistet darüber hinaus einen Gleichlauf von Mandat und Beiordnung, der gestört sein kann, wenn etwa schon die Sozietät beauftragt ist, dann aber ein einzelner Sozius beigeordnet würde. In diesen Fällen findet der zuvor mit der Sozietät geschlossene Anwaltsvertrag mit der Beiordnung nicht automatisch sein Ende, obschon ein weiterer Vertrag mit dem beigeordneten Anwalt zustande kommt, wenn dieser im Einverständnis des Mandanten seine Tätigkeit aufnimmt.[496]

Ein weiteres Problem kann sich im Zusammenhang mit der Vergütung stellen, ob nämlich die Sperrwirkung des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch den Honoraranspruch der beauftragten Sozietät erfasst, wenn lediglich ein Sozius beigeordnet worden ist.[497] Zum Schutz der beigeordneten Partei ist deshalb eine vorvertragliche Pflicht angenommen worden, vor Übernahme des Mandats die gebührenrechtlichen Folgen einer Beauftragung der Sozietät einerseits und andererseits nur eines beigeordneten Rechtsanwalts zu erläutern und auf einen Gleichlauf von Anwaltsmandat und Anwaltsbeiordnung hinzuwirken.[498]

[491] EGMR, 22.3.2007 – 59519/00, NJW 2008, 2317.
[492] Vgl. Borgmann/Jungk/Schwaiger, § 12 Rn 39 bis 50; Mennemeyer, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn 48 bis 55; Vollkommer/Greger/Heinemann, § 3 Rn 22 bis 26; Zugehör, NJW 1995, Beil. zu Heft 21, S. 7 sowie die Kommentierungen zu §§ 48 bis 49a BRAO.
[494] BGHZ 47, 320, 322; BGH, NJW 1987, 440.
[497] Ganter, AnwBl. 2007, 847; BGH, 28.9.2006 – IX ZR 218/05, Rn 6, JurionRS 2006, 23799.
[498] BGH, 15.7.2010 – IX ZR 227/09, WM 2010, 21, 65 = AnwBl. 2010, 716.

1. Prozesskostenhilfe

 

Rz. 194

Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO muss ein Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren die Vertretung einer Partei übernehmen, wenn er der Partei im Wege der PKH nach § 121 ZPO, § 11a ArbGG oder aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften[499] zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte beigeordnet ist. Ist beim PKH-Mandat die Beiordnung unbeschränkt beantragt und bewilligt worden, muss der Rechtsanwalt die Vertretung einschließlich des Nachprüfungsverfahrens anbieten; zu einer Beschränkung des Mandats auf das Hauptsacheverfahren ist der Rechtsanwalt in diesem Fall nicht berechtigt.[500]

 

Rz. 195

Eine gerichtliche Beiordnung im Wege der PKH begründet als solche noch kein Vertragsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Partei, sondern lediglich ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis. Der Rechtsanwalt ist aber verpflichtet, ein Angebot auf Abschluss eines Anwaltsvertrages anzunehmen....

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