Rz. 280

Thematisiert wurde die Zulässigkeit der Unterbevollmächtigung im Zusammenhang mit dem von Rechtsanwälten an einigen Gerichten praktizierten sog. Kartellsystem. Dabei handelte es sich um eine langjährige Übung örtlicher Anwaltsvereine v.a. im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf. Die Mitglieder des Anwaltsvereins, die an demselben LG zugelassen sind, erteilten sich gegenseitig Untervollmacht. In einer von dem Anwaltsverein beschlossenen Sitzungsdienstordnung waren die Aufgaben und Pflichten der beteiligten Rechtsanwälte sowie der Umfang der Untervollmacht niedergelegt. Diese Sitzungsdienstordnung betraf nur das Verhältnis zwischen den Mitgliedern des Vereins, nicht aber das Gericht oder Dritte. Der Verein bestellte für jede Sitzung der Amts- und Landgerichte, in der bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten verhandelt wurden, ein anwaltliches Mitglied, das als Unterbevollmächtigter derjenigen Kollegen auftrat, die diesen Verhandlungstermin nicht persönlich wahrnehmen konnten (sog. Kartellanwalt). Der vom Auftraggeber eingeschaltete Hauptbevollmächtigte musste die Handakte mit einer klaren schriftlichen, auf einem Formular des Vereins eingetragenen Weisung rechtzeitig im Sitzungssaal niederlegen. Wurden die Maßgaben der Sitzungsdienstanordnung vom Hauptbevollmächtigten missachtet, war der Unterbevollmächtigte nicht zum Auftreten verpflichtet. Dieses Kartellsystem wurde im Jahr 2012 aufgegeben. Gleichwohl kann die rechtliche Bewertung dieses Systems zur Klärung der Zulässigkeit einer Unterbevollmächtigung beitragen.

 

Rz. 281

Die einzelnen Senate des OLG Düsseldorf haben das Kartellsystem z.T. erheblich voneinander abweichend beurteilt.

 

Rz. 282

Zunächst hat das OLG Düsseldorf das Kartellsystem grds. gebilligt.[693] Dessen Einrichtung sei im Interesse der Rechtsanwälte und des Gerichts geschaffen worden und dürfe den Parteien daher keine vermeidbaren Nachteile bringen.

 

Rz. 283

In einem späteren Urteil hat ein anderer Senat des OLG Düsseldorf grundlegende Kritik an dem Kartellsystem geübt.[694] Eine wirksame Untervollmacht des Kartellanwalts setze eine Erklärung des Prozessbevollmächtigten voraus. Diese Erklärung könne darin liegen, dass der Vertretene dem Vertreter mündlich oder schriftlich Weisung erteile, für ihn aufzutreten, und ihm Gelegenheit gebe, sich mit dem Prozessstoff zu befassen. Dem Kartellanwalt müsse eine auf den Fall bezogene Weisung erteilt worden sein. Er müsse i.d.R. ferner die Möglichkeit haben, sich mittels der Handakten des Prozessbevollmächtigten ein eigenes Bild von dem Streitstoff zu machen und dabei insb. zu prüfen, ob er nicht wegen besonderer Umstände gehindert ist, die Vertretung wahrzunehmen. Eine von zahlreichen Rechtsanwälten gegenseitig erteilte allgemeine Vollmacht, einander in Terminen aller künftigen Rechtsstreitigkeiten zu vertreten, lasse sich nicht mit den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Rechtspflege in Einklang bringen und sei deshalb unwirksam.

 

Rz. 284

In dieselbe Richtung weist ein anderes Urteil des OLG Düsseldorf.[695] Eine Büroorganisation, die es ermögliche, dass das Büropersonal ohne Zwischenschalten des Rechtsanwalts eine Akte "ins Kartell" gebe, sei grob mangelhaft. Es sei nachlässig und mit den Pflichten eines Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren, dass ein Rechtsanwalt (hier der Kartellanwalt) eine Sache streitig verhandele, ohne sie zu kennen. Es sei nicht einzusehen, dass das Auftreten eines uninformierten Rechtsanwalts im Interesse des Gerichts liegen könne. Jedenfalls nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren v. 3.12.1975[696] sei die Auffassung, ein Anwaltskartell führe zu einer ordnungsgemäßen Prozessführung, nicht mehr haltbar. Die mündliche Verhandlung, die nach dem Willen des Gesetzgebers Kern des Zivilprozesses sein solle, verkäme zur Farce, wenn es hingenommen würde, dass die Prozessbevollmächtigten der Parteien den Streitstoff nicht kennen und deshalb zu einer Erörterung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht in der Lage seien.

 

Rz. 285

Schließlich ist nach Auffassung des OLG Düsseldorf ein Gericht seiner Hinweispflicht nicht enthoben, wenn eine Partei von einem sog. Kartellanwalt vertreten wird. Muss das Gericht davon ausgehen, dass ein Kartellanwalt auftreten wird, ist auf die Absicht zur Erörterung rechtzeitig hinzuweisen, weil dann erfahrungsgemäß der Prozessbevollmächtigte den Termin selbst wahrnehme.[697]

 

Rz. 286

Im Schrifttum wird das Kartellsystem vereinzelt als nicht ordnungsgemäße Prozessführung beanstandet.[698] Abgesehen von der gerichtlichen Billigung ist aber zu bedenken, dass dieses System auch eine Reaktion der Anwaltschaft auf eine gerichtliche Verfahrenspraxis darstellt (Massen-Durchlauftermine zur selben Uhrzeit), die ihrerseits nicht bedenkenfrei erscheint. Es kann einem Rechtsanwalt schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht zugemutet werden, erhebliche Wartezeiten hinzunehmen, ohne dass eine rechtliche Erörterung der einzelnen Sache stattfindet.

 

Rz. 287

Diese unterschiedli...

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