Rz. 12

Wer, wann, was? – Im Verwaltungsverfahren wird der Mandant regelmäßig mit dem ersten behördlichen Schreiben Kenntnis vom Tatvorwurf erhalten und hierauf einen Anwalt kontaktieren. Vor Erlass eines Bußgeldbescheides ist der Betroffene anzuhören. Sofern die Behörde den Fahrer noch nicht ermitteln konnte, wird vorab ein Zeugenfragebogen versandt. Andernfalls erhält der Betroffene direkt einen Anhörungsbogen. Mit den im Zeugen- oder Anhörungsbogen enthaltenen Informationen lassen sich bereits im Erstgespräch die meisten Fragen vorab beantworten und die Verteidigung frühzeitig ausrichten:

Die Fahrerfrage kann vorab geklärt werden und mit ihr das Einlassungsverhalten hierzu.
Der Fristenlauf für die Verfolgung der Tat kann bestimmt werden.
Der Tatvorwurf im eigentlichen Sinne und somit die drohenden Rechtsfolgen sind bekannt.

I. Fahrerfrage

1. Zeugenfragebogen/Anhörungsbogen

 

Rz. 13

Bei den meisten polizeilichen Anzeigen im Straßenverkehr – jedenfalls bei den hier behandelten Ordnungswidrigkeiten – handelt es sich um sogenannte Kennzeichenanzeigen. Bekannt ist den Ermittlungsbehörden zunächst nur das Fahrzeug mit dem zugehörigen amtlichen Kennzeichen, mithin also nur das Tatmittel.

Über die zum Kennzeichen gespeicherten Halterdaten wird sodann der verantwortliche Fahrer ermittelt. Ist sich die Behörde sicher, wer der Betroffene war, schickt sie ihm einen Anhörungsbogen zu. Andernfalls versendet sie dem Halter einen Zeugenfragebogen zusammen mit der Aufforderung, den verantwortlichen Fahrer zum Tatzeitpunkt zu benennen.

2. Einlassungsverhalten

 

Rz. 14

Nach der einhelligen Rechtsprechung darf aus der Eigenschaft als Halter alleine nicht auf die Fahrer- bzw. Tätereigenschaft geschlossen werden. Auch wenn der Halter auf den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit hin schweigt, können Polizei bzw. Gericht nicht den Schluss ziehen, dass der Halter der Fahrer war. Das Schweigen kann nicht einmal als Indiz für eine Schuld gewertet werden.[24] Wenn der Tatrichter aus der Haltereigenschaft des Betroffenen auf die Fahrereigenschaft geschlossen hat, ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht daran gebunden, wenn die naheliegende Möglichkeit eines anderen Geschehens unerörtert blieb.[25] Auch eine Zeugnisverweigerung von Angehörigen kann nicht zuungunsten des Halters ausgewertet werden. Allerdings gilt dies alles nur dann, wenn völliges Schweigen vorliegt. Teilweises Schweigen ist auslegungsfähig und kann zu dem Schluss führen, dass der Halter der Fahrer gewesen ist.[26] Das Gericht wird aus Indizien möglicherweise folgern, dass der Halter auch der Fahrzeugführer ist. Dieser Schluss kann insbesondere dann zulässig sein, wenn nur der Halter zu bestimmten Zeiten den fraglichen Pkw benutzt oder wenn es sich um ein besonders wertvolles Fahrzeug handelt, das erfahrungsgemäß nicht verliehen wird und wenn auch konkret keine andere in Betracht kommende Person benannt wird.[27]

 

Rz. 15

 

Praxistipp

Der Mandant ist daher unbedingt darüber aufzuklären, dass nichts sagen NICHTS sagen bedeutet. Erklärungsversuche gegenüber Ermittlungsbehörden sind zwar menschlich nachvollziehbar, jedoch meist fatal.

Vom zulässigen Schweigen zu trennen ist die Falschbezichtigung oder Selbstanzeige Dritter, welche tatsächlich aber nicht gefahren sind. Oft genug kommt die Mandantschaft eigenmächtig auf derartige Tricks – und somit vom Regen in die Traufe. Die Verteidigung hat hier frühzeitig aufzuklären über die strafrechtlichen Folgen einer falschen Verdächtigung (bzw. Beihilfe hierzu).[28]

 

Rz. 16

Die Polizei hat natürlich Möglichkeiten einer Identifizierung. In aller Regel wird bei Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen und bei Rotlichtverstößen ein Frontfoto vom Fahrer gefertigt. Mit diesem Lichtbild versucht die Behörde den Betroffenen ausfindig zu machen. Wenn sie den Fahrzeughalter, der oft auch der Fahrer ist, nicht zu Gesicht bekommt, versucht sie es durch Anhörung von Nachbarn oder Berufskollegen. Es versteht sich von selbst, dass diese Befragungen für den Betroffenen nicht gerade sehr angenehm sind. Durch die vorherige Erteilung eines Hausverbotes gegenüber der Polizei kann zumindest der Besuch bei den Nachbarn oder dem Arbeitgeber nicht verhindert werden. Wenn auf diese Art und Weise eine Identifizierung nicht möglich ist, werden oft auch die Bilder der Passämter beigezogen, um Vergleiche anzustellen. Die erfolgte Aushändigung einer Personalausweiskopie durch die Meldebehörde zum Vergleich des Lichtbildes mit dem Polizeifoto führt nach der überwiegenden Rechtsprechung zu keinem Verwertungsverbot.[29]

 

Praxistipp

Bereits im Erstgespräch ist hinsichtlich des Einlassungsverhaltens mit dem Mandanten zu thematisieren, dass bei offener Fahrerfrage mit einem Besuch der Polizei gerechnet werden kann.

Das Auftauchen eines uniformierten Polizeibeamten zuhause, in der Nachbarschaft oder an der Arbeitsstätte stellt für manchen Mandanten eine individuell höhere Beeinträchtigung dar als die drohende Ahndung. Aber selbst wenn dies akzeptiert wird, sind die Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte von Mitbewohnern, Familienmitgliedern und Mitarbeite...

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