Rz. 18

Stellt die Polizei insbesondere fest, dass der Betroffene sein Aussehen gegenüber dem bei dem Verkehrsverstoß aufgenommenen Foto verändert hat, so soll zur weiteren Aufklärung die Einholung der Kopie eines Ausweisbildes bei der Passbehörde durch § 22 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 PassG und auch durch § 25 Abs. 2 des PAuswG gedeckt sein.[30] Trotzdem bestehen erhebliche Bedenken datenrechtlicher Art gegen diese Vorgehensweise. Bei einfachen Ordnungswidrigkeiten muss im Verfahren der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Dieser verbietet es, ohne besondere Ermächtigung des Behördenleiters Einsicht in die Register bezüglich Personalausweis oder Pass zu nehmen. Unverhältnismäßig kann es auch sein, wegen einer geringfügigen Ordnungswidrigkeit bei Nachbarn oder Arbeitskollegen zu ermitteln. Sofern die Behörde sich über datenschutzrechtliche Vorgaben vorsätzlich hinwegsetzt, ist eine Einstellung nach § 47 OWiG angezeigt.[31]

 

Verhüllungsverbot

Als im Jahr 2017 das Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 S. 1 StVO eingeführt wurde, hatte niemand an das Tragen von Schutzmasken gedacht. Dennoch ist zwischenzeitlich geklärt, dass auch das Tragen von medizinischen Masken zum Infektionsschutz für den Fahrer untersagt bleibt. Im Einzelfall können Ausnahmegenehmigungen erteilt werden.[32]

Ein Verstoß wird gem. Nr. 247a BKat mit einem Bußgeld von 60 EUR geahndet, zieht jedoch keine Punkte nach sich. In der Praxis wird die Fahrerermittlung schwierig, wenn der Fahrer auf dem Bild eine Maske trägt. Gleichwohl ist eine mögliche Bußgelderhöhung wegen Tateinheit mit einem Verstoß gegen § 23 Abs. 4 StVO zu erwägen, sofern der Fahrer trotz Maske verurteilt werden könnte.

Wenn der Betroffene auf einem Tatfoto identifizierbar ist, kann hier jedenfalls damit argumentiert werden, dass gerade wegen der Erkennbarkeit der Tatbestand des § 23 Abs. 4 StVO nicht erfüllt ist. Auch an Notstand i.S.d. § 16 OWiG ist zu denken.[33]

 

Rz. 19

Im Übrigen dürfen Lichtbilder von Beifahrern unbeteiligten Dritten nicht zur Kenntnis gegeben werden; die auf Frontfotos mitabgebildeten Beifahrer sind zu schwärzen, wobei ein Verstoß hiergegen die Ahndung des Betroffenen nicht tangiert.[34] Die meisten Datenschutzbeauftragten der Länder vertreten die Auffassung, dass Passämter der Polizei nicht routinemäßig Ausweisfotos von Kraftfahrern übersenden dürfen.[35] Kann die Identifizierung durch die Polizei auf diese Art und Weise nicht festgestellt werden und kann sich auch das Gericht nicht davon überzeugen, dass der Betroffene die auf dem Lichtbild abgebildete Person ist, dann wird von Gerichten unter Umständen ein anthropologisches Gutachten angefordert. Anhand von sichtbaren Körperpartien (z.B. Ohr, Finger, Hand, die der Kraftfahrer im Augenblick der Lichtbildaufnahme vor das Gesicht hält) versuchen Sachverständige eine Identifizierung vorzunehmen.[36]

 

Rz. 20

Diese Begutachtung ist umstritten. Es sind immer wieder Fälle bekannt geworden, in denen nachweisbar falsche Identifizierungen vorgenommen wurden.[37] Nachdem einheitliche Kriterien zur Identifizierung nicht vorliegen, ist eine Nachprüfbarkeit dieser Gutachten nur schwer möglich. Die Sachverständigen versuchen, den Täter durch einen Vergleich mit Fotos und mit bestimmten "unveränderbaren" Merkmalen ausfindig zu machen. Bei einem anthropologischen Identitätsgutachten handelt es sich nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode. Im Urteil sind deshalb alle Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen mitzuteilen.[38] Andere Gerichte fordern zudem noch die genaue Darlegung und Anzahl der metrischen und deskriptiven Merkmale und die Art und Weise der Ermittlung der Übereinstimmung.[39]

 

Rz. 21

Anthropologische Gutachten sind teuer, die Kosten liegen zwischen 1.000 EUR und 2.500 EUR, sie können auch noch höher sein, insbesondere wenn der Sachverständige zum Verhandlungstermin geladen wird. Angesichts dieser hohen Kosten muss eine Benachrichtigung des Betroffenen durch das Gericht erfolgen, bevor ein solches Gutachten eingeholt wird. Unterbleibt diese, liegt ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und damit eine unrichtige Sachbehandlung vor. Die Sachverständigenauslagen sind dann unter Umständen gem. § 21 GKG nicht zu erheben. Sofern keine Rechtsschutzversicherung besteht, kann der Mandant beruhigt werden, dass diesbezüglich zumindest im Verwaltungsverfahren kein Kostenrisiko droht und vor Gericht nur bei vorheriger Benachrichtigung.

 

Pauschale Drohungen mit Sachverständigengutachten:

In manchen Gerichtsbezirken kündigen Amtsgerichte dem Betroffenen standardmäßig vorweg an, sie würden einen Sachverständigen zum Termin laden, wenn er sich nicht vorab ausreichend zur Fahrerfrage erklärt. Dabei wird auf unverhältnismäßige Mehrkosten hingewiesen und oft auch eine Einspruchsrücknahme nahegelegt.

Dies ist in mehrfacher Hinsicht kritisch zu beurteilen. Wie nachfolgend dargelegt, obliegt die Beurteilung der Fahrereigenschaft originär dem Amtsgericht. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen kann demnach nicht stan...

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