Rz. 92

Der Bußgeldbescheid hat die in § 66 OWiG wesentlichen Angaben zu beinhalten sowie eine Kostenentscheidung gem. § 105 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 1 StPO. Hierdurch soll der Betroffene über den Tatvorwurf informiert werden und der Verfahrensgegenstand soll in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abgegrenzt werden.[197] Außerdem stellt der Bescheid den Vollstreckungstitel dar, sofern der Betroffene ihn vor dem Übergang ins gerichtliche Verfahren akzeptiert.

 

Rz. 93

Für die Verteidigung ist hier die Abgrenzungsfunktion relevant.[198] Der Erlass eines unwirksamen Bußgeldbescheides hat nämlich keine die Verjährung unterbrechende Wirkung i.S.d. § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG.[199] Mängel in Bezug auf die Informationsfunktion führen zumindest für sich genommen[200] grundsätzlich zu keiner Unwirksamkeit.[201] Unwirksam ist der Bescheid wiederum nicht bei jedem, sondern nur bei einem schwerwiegenden Mangel. Inwiefern ein Mangel – bzw. eine Gemengelage aus mehreren Mängeln – als schwerwiegend zu werten ist, bestimmt sich im Einzelfall.

 

Praxistipp

Die Frage, ob ein wirksamer Bußgeldbescheid vorliegt, ist zu unterscheiden von der Frage, ob der Bescheid die Verfolgungsverjährung unterbrechen konnte. Das Gericht kann gem. § 66 OWiG den Akteninhalt ergänzend auslegen. Hingegen ist für die Verjährungsunterbrechung gem. § 33 OWiG auf den Betroffenenhorizont abzustellen, also allein auf den Bußgeldbescheid selbst.[202]

Allgemein gefasst ist von einem schwerwiegenden Mangel und somit von einem unwirksamen Bußgeldbescheid auszugehen, wenn im konkreten Einzelfall die Abgrenzung hinsichtlich Betroffenen und vorgeworfener Tat (zeitlich, örtlich, inhaltlich) nicht möglich ist.

Mängel sollten hier jedoch immer erst geltend gemacht werden, wenn die Behörde den Bescheid nicht mehr zurücknehmen und einen neuen erlassen kann.

 

Rz. 94

Maßgeblich ist der gesamte Bußgeldbescheid, wie er vom Betroffenen im Kontext zu verstehen ist.[203] Umstritten bleibt die Frage, ob andere Erkenntnisquellen zu berücksichtigen sind.[204] Sofern die jeweiligen Angaben im Bescheid jedoch gänzlich fehlen, ist eine Heilung durch Heranziehung anderer Quellen nicht möglich, da sie hier nichts ergänzen, sondern den Mangel ersetzen würden.[205]

Die Auflistung der Einzelfallrechtsprechung zu diesem Themenkomplex würde hier den Rahmen sprengen. Daher wird nachfolgend lediglich eine kleine Auswahl an Einzelentscheidungen aufgeführt, um das unscharfe Kriterium zu veranschaulichen.[206]

Generell gilt es insofern jedenfalls zu prüfen, wie der Mandant den Tatvorwurf verstehen kann. Hierzu ist sowohl der Bußgeldbescheid zugrunde zu legen, als auch der Mandant hinsichtlich ihm positiv bekannter weiterer Begleitumstände zu befragen.

 

Rz. 95

So beschreibt ein Zahlendreher bei der Kilometerangabe des Autobahnabschnittes eine andere Örtlichkeit als den Tatort. Da eine mögliche Messung an beiden Orten denkbar ist, verbleibt beim verständigen Betroffenen eine Verwechslungsgefahr, mithin ist der Tatvorwurf nicht abgrenzbar.[207] Sofern der Betroffene vor Ort hingegen angehalten worden war, wird mit dieser aktenkundigen Tatsache schwerlich argumentiert werden können, dass ihm die richtige örtliche oder zeitliche Einordnung des ihm vorgeworfenen Lebenssachverhalts nicht möglich sei.[208] Ob es genügt, wenn der Betroffene das Messgerät wahrgenommen hat, ist zweifelhaft.[209]

 

Rz. 96

Ebenso kann ein Zahlendreher beim Tattag Verwechslungsgefahr begründen, wenn die Fahrtstrecke vom Betroffenen öfter zurückgelegt wird.[210] Das völlige Fehlen der Tatzeit führt in der Regel zur Unwirksamkeit,[211] hingegen ist eine fehlerhafte Zeitangabe mit Hinblick auf die Abgrenzungsfunktion auslegungsbedürftig.

 

Rz. 97

Die alleinige Kurzbezeichnung eines Streckenabschnittes der Autobahn ermöglicht dem Betroffenen für sich genommen zwar keine direkte Zuordnung des Tatortes, jedoch kann dieser mit weiteren Nachforschungen in Erfahrung gebracht und somit abgegrenzt werden.[212] Die Angabe eines markanten Punktes (Hausnummer, Parkplatz, etc.) ist ausreichend.[213] Andererseits wird bei einer möglichen Verwechslungsgefahr ein wesentlicher Mangel vorliegen.[214]

 

Rz. 98

Wurde die Fahrtrichtung nicht benannt, obwohl kurz aufeinander in beide Richtungen gefahren wurde, soll eine mögliche Verwechslungsgefahr durch die Angabe der konkreten Uhrzeit wieder beseitigt werden.[215] Dies soll selbst dann gelten, wenn die Fahrtrichtung tatsächlich verwechselt worden ist.[216]

 

Rz. 99

Vergleichbar hierzu sind Fehler bei den Angaben zur Person des Betroffenen. Lässt sich seine Identität aus den vorhandenen richtigen Angaben zweifelsfrei erkennen, liegen kein schwerwiegender Mangel und damit kein unwirksamer Bußgeldbescheid vor.[217]

 

Rz. 100

 

Praxistipp

Bei Firmenfahrzeugen ist hierauf besonderes Augenmerk zu richten, da die Angabe einer juristischen Person zur Belangung des gesetzlichen Vertreters nicht genügt.[218] Dies gilt auch bei einem Einzelkaufmann, sofern keine eindeutige Auslegung auf eine einzige Person möglich ist.[219]

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