Kein Anspruch auf Anwesenheit einer Vertrauensperson bei psychiatrischer Untersuchung
Der Weg zur Erlangung einer Rente wegen Erwerbsminderung kann steinig sein. Dies gilt besonders dann, wenn der Anspruchsteller keine körperlichen Gebrechen, sondern psychische Leiden geltend macht.
Der Vater war immer dabei
Diese Erfahrung musste ein Kläger in einem vor dem SG Berlin geführten Verfahren machen. Bereits im Dezember 2014 wurde der im Jahr 1990 geborene Kläger durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen Berlin-Brandenburg untersucht. Der dort beauftragte Sachverständige bemängelte „inadäquates Verhalten“ des Klägers bei der Untersuchung, denn das Gespräch habe der anwesende, sehr dominante Vater geführt. Der Kläger selbst habe geschwiegen. In ähnlicher Weise gestaltete sich eine später von der Bundesagentur für Arbeit angeordnete Untersuchung durch eine Ärztin für Neurologie und Psychiatrie.
Sachverständige lehnt Begutachtung ab
Die von der Beklagten beauftragte Sachverständige schließlich lehnte die psychopathologische Untersuchung des Klägers vollständig ab, weil der Kläger nicht bereit war, das Gespräch mit ihr ohne Teilnahme einer Vertrauensperson - seines Vaters - zu führen. Die Ärztin begründete ihre Haltung damit, dass die Teilnahme eines Begleiters an der Exploration die Einhaltung der erforderlichen wissenschaftlichen Standards unmöglich mache.
Kläger bleibt bei seiner Verweigerungshaltung
Im Anschluss hieran teilte die Beklagte dem Kläger schriftlich mit, dass eine aussagekräftige Begutachtung für die Gewährung der Rente unerlässlich sei. Die Anamnese müsse unbeeinflusst durch Begleitpersonen stattfinden. Der Kläger könne sich bis in den Wartebereich begleiten lassen. Der Kläger sowie der Vater des Klägers lehnten aber trotz weiterer mehrfacher Hinweise durch die Beklagte weiterhin eine Begutachtung ohne Begleitung ab.
Beklagte lehnte Rentenantrag ab
Unter Hinweis auf die mangelnde Mitwirkung des Klägers an der Feststellung der Voraussetzungen der Rentengewährung versagte die Beklagte die beantragte Rente wegen Erwerbsminderung. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren verfolgte der Kläger sein Begehren auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gerichtlich weiter.
Mitwirkungspflichten des Anspruchstellers
Das SG hielt den Versagensbescheid der Beklagten für gerechtfertigt. Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I habe derjenige, der Sozialleistungen beantragt, sämtliche Tatsachen anzugeben, die für die beantragte Leistung erheblich sind. Gemäß § 62 SGB I solle der Anspruchsteller auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers sich ärztlichen oder psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, soweit dies für die Entscheidung über die Leistung erforderlich ist.
Begutachtung vereitelt
Diesen gesetzlichen Mitwirkungspflichten ist der Kläger nach der Wertung des SG nicht nachgekommen. Dadurch, dass er für die gebotene psychiatrische Begutachtung auf die Anwesenheit einer Begleitperson bestanden hatte, habe er die die Durchführung der psychiatrischen Begutachtung vereitelt und dadurch seine Mitwirkungspflicht verletzt. Die seinerzeit von der Bundesagentur für Arbeit beauftragte Ärztin für Neurologie und Psychiatrie habe in ihrem Bericht ausgeführt, dass wegen des völligen Schweigens des Klägers eine aussagekräftige Untersuchung nicht möglich gewesen sei. Nach ihrem Kurzbericht sei die Ärztin davon ausgegangen, dass der Kläger unter einer Lernbehinderung und unter einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung leide.
Begutachtung ist conditio sine qua non
Aufgrund dieses Geschehensablaufs kam das SG zu dem Schluss, dass die Erhebung eines psychopathologischen Befundes beim Kläger zur Entscheidung über die Voraussetzungen einer geminderten Erwerbsfähigkeit unerlässlich ist. Die Einlassung des Klägers, er habe mit Gutachtern in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht, sei zu unbestimmt, um daraus Schlussfolgerungen für die Notwendigkeit der Begleitung durch eine Vertrauensperson bei einer Anamnese herzuleiten. Auch könne der Kläger sich nicht auf § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I berufen, wonach die gesetzlichen Mitwirkungspflichten in dem Umfang entfallen, in dem der Leistungsträger sich die erforderlichen Kenntnisse anderweitig beschaffen kann. Bisher liege nämlich keine anderweitige aussagekräftige Begutachtung vor. Ohne Begutachtung sei das Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben nicht zu beurteilen.
Begutachtung ohne Begleitperson ist zumutbar
Im Ergebnis sei eine Begutachtung ohne Anwesenheit einer Begleitperson für den Kläger auch zumutbar, da eine psychiatrische Untersuchung nicht mit körperlichen Eingriffen verbunden sei und durch eine psychopathologische Exploration auch keine gesundheitlich negativen Folgen für den Kläger drohten. Schließlich habe die Beklagte den Kläger auch mehr als hinreichend auf das Erfordernis der psychiatrischen Begutachtung ohne Begleitperson hingewiesen und ihm auch mehrfach für den Fall der Verweigerung die möglichen negativen Folgen vor Augen geführt. Mehr an Information sei nicht möglich gewesen.
Versagung der Rente war ermessensfehlerfrei
Im Ergebnis hatte die Beklagte nach Auffassung des SG daher gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I ermessensfehlerfrei die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung versagt. Eine andere Entscheidung als die Versagung der beantragten Rente sei angesichts der Umstände nicht möglich gewesen.
(SG Berlin, Urteil v. 21.6.2019, S 105 R 57/18)
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