Prägungen und Überzeugungen: Interview Thomas Sattelberger

Widerstand gegen unziemliche Ansagen und obrigkeitsstaatliches Gehabe sieht der Ex-Apo-Aktivist Thomas Sattelberger als wichtige Eigenschaften, um in HR etwas zu bewegen. Personaler sollten eine Kultur der Vielfalt und des Diskurses schaffen.

Sie haben ein facettenreiches Leben als Personalmanager hinter sich. Das Manager Magazin schreibt, Sie seien einer von Deutschlands bedeutendsten Personalmanagern. Wie wird man das?

Sattelberger: (Pause) Indem man sich nicht duckt. Vor starkem Widerstand, vor unziemlichen Ansagen, vor obrigkeitsstaatlichem Gehabe.

Lernt man das oder muss man das haben? Schon in der Jugend haben Sie den Aufstand geprobt und radikale Parolen vertreten. Man denke an Ihre Aktion vor der amerikanischen Botschaft in Stuttgart, wo Sie neben Joschka Fischer saßen und ein Schild mit „US = SS“ hochhielten. Braucht es ein APO-Trainingslager, um diese Haltung auszubilden?

Sattelberger: Nein, dazu braucht es solche Erfahrungen nicht. Aber man muss bewusst Lebenserfahrungen sammeln oder nutzen, die einen an die Grenzen führen. Die Personalentwickler würden sagen: "Leave the Comfort Zone". Dass das bei mir die Arbeit in einer APO-Jugendorganisation war, ist der Historie geschuldet. Das kann auch bewusste Rotation in schweres geschäftliche Wildwasser, die Arbeit mit Kranken oder konfrontierenden Werte-Dilemmata sein. Das kann auch das Umgehen mit einer Konkurssituation oder ein Bespitzelungsskandal sein, der an die Grundfeste der Moral rührt. Manager brauchen solche Grenzerfahrungen, um zu reifen.

Welche Ihrer Überzeugungen und Eigenschaften sind geprägt von den Erfahrungen in der APO?

Sattelberger: Die tiefe Sorge vor der Demagogie der Macht. Und die vor der eigenen Verführbarkeit. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Das begegnet Ihnen nicht nur in einer APO-Gruppierung, sondern auch in Unternehmen, in der Kirche und so weiter. Wie manipuliert Dich Macht, wo bist Du verführbar, wie entscheidest Du Dich in moralisch schwierigen Konfliktsituationen? Das waren für mich Kernerfahrungen. Aber ich bin dadurch nicht unfehlbar geworden. Die Zeit war übrigens auch eine zutiefst positive Erfahrung. Wir sind als junge Schüler angetreten für Pressefreiheit, für Mitbestimmung, gegen militaristische Ansprachen von Lehrern und wir haben durch unsere Aufklärungsarbeit dazu beigetragen, dass sich Kultur in einem Schulsystem verändert hat. Wenn ich heute für freiheitsliebende Talententwicklung eintrete, dann bin ich überzeugt davon, die Kraft dafür ziehe ich aus meinen Erlebnissen als 16- und 17jähriger.

Ein typischer sattelbergerscher Begriff, der auch hier schon gefallen ist, ist „radikal“. Den hören Sie von anderen Managern selten. Wie passt der in die moderne Managementwelt?

Sattelberger: Radix heißt die Wurzel. Ich hab ja mal Latein und Altgriechisch gelernt. Radikalität heißt, der Wurzel nachzuspüren, tief zu bohren und sich nicht von den ersten, harten Gesteinsschichten irritieren zu lassen. Radikal zu sein, heißt zu fragen, was ist da wirklich los?

Ist Radikalität mit der sensiblen Position eines Personalvorstands, der eine Sozialpartnerschaft am Leben halten muss und oft zwischen allen Stühlen sitzt, vereinbar?

Sattelberger: Zu allererst ist der Personalvorstand Vorstand, der für das Wohl des Unternehmens zu handeln hat. Zum zweiten ist er als Personalvorstand verantwortlich für den Fortschritt im betrieblichen System Arbeit und erst in dritter Reihe ist er Arbeitsdirektor für Deutschland. Ein ordentlicher Personalvorstand sitzt auch nicht zwischen allen Stühlen. Er hat seinen eigenen Stuhl und bestimmt nicht unwesentlich mit, wo er sitzt. Mich hat nie gestört, dass ich nicht mit dem Wohlgefallen der Arbeitnehmerbank bei der Telekom gestartet bin. Damit habe ich jetzt nichts zu deren damaligen Stimmverhalten gesagt. Ich glaube, die Kultur des Konformismus, das Anpassen an das Gängige, ist schädlich für Unternehmensentwicklung. Personalvorstände müssen dazu beitragen, dass eine Kultur des Diskurses und der Vielfalt etabliert wird. Das kann ich mir gar nicht anders vorstellen. Ich werde dann gelegentlich gefragt, wie ich meine eigene kraftvolle Art einschätze, die ja auch Konformismus bei anderen erzeugt.

Und wie lautet Ihre Antwort?

Sattelberger: Erst jüngst habe ich lange darüber nachgedacht und bin zum Ergebnis gekommen, dass ich in drei Viertel der wichtigen Entscheidungen meinen Führungskräften zugehört habe und in der Mehrheit in ihrem Sinne oder mit ihnen entschieden habe. In einigen Fällen habe ich Entscheidungen durchgeboxt, beispielsweise bei der Frauenquote oder der Gründung der Telekom School of Transformation. Eine ganz andere Frage ist, wie ich auf Leute Einfluss nehme. Allerdings ist das letztlich nicht mein Problem, vielmehr muss sich mein Gegenüber die Frage stellen, wie er seine geistige Unabhängigkeit behält.

Gibt es Menschen in Ihrem Umfeld, von denen  Sie hart kritisiert werden?

Sattelberger: Ja, beruflich wie privat. Da werde ich zum Glück manchmal richtig irritiert. Das Verrückte ist ja, dass ich trotz meiner Wucht schon viel Widerspruch um mich herum erlebe.

Zum Beispiel?

Sattelberger: Wenn ich meine Meinung zu dogmatisch, zu undifferenziert, zu ungestüm vorbringe.