Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsänderung bei Änderung des Betriebszweckes

 

Leitsatz (amtlich)

Werden in einem Schlachthof, in dem bislang Rinder, Kälber und Schweine geschlachtet wurden, künftig nur noch Schweine geschlachtet, so liegt darin keine grundliegende Änderung des Betriebszweckes i.S.v. § 111 Satz 2 Nr. 3 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG §§ 111, 113

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 03.12.1991; Aktenzeichen 1 Sa 249/91)

ArbG Flensburg (Urteil vom 19.03.1991; Aktenzeichen 2 Ca 728/90)

 

Tenor

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Beklagte betreibt je einen Schlachthof in Schleswig und in Husum. Bis März 1990 wurden sowohl in Schleswig als auch in Husum Rinder, Kälber und Schweine geschlachtet. Dafür war in Schleswig ein Rinder- und ein Schweineschlachtband vorhanden. Geschlachtet wurden jeweils nur Rinder und Kälber oder Schweine. Seit dem 1. April 1990 werden in Schleswig nur noch Schweine geschlachtet, in Husum nur noch Rinder und Kälber. Dabei werden die früher nach Husum anzuliefernden Schweine jetzt nach Schleswig und die für Schleswig anzuliefernden Rinder und Kälber nach Husum angeliefert. In Schleswig wurde anstelle des Rinderschlachtbandes ein neues Schweineschlachtband montiert, das frühere Schweineschlachtband stillgelegt.

Die Kläger sind seit mehreren Jahren im Schlachthof Schleswig als Schlachter tätig. Sie haben je nach Anfall Rinder, Kälber oder Schweine geschlachtet. Sie arbeiten im Akkord. Die Akkordlöhne für die einzelnen beim Schlachten anfallenden Arbeiten sind tariflich geregelt. Der Akkordlohn für das Schlachten eines Schweines ist geringer als der für das Schlachten eines Rindes oder Kalbes. Den im Akkord beschäftigten Arbeitnehmern ist tariflich ein monatlicher Mindestlohn garantiert.

Die Kläger sind der Ansicht, daß in der Umstellung des Schlachthofes Schleswig auf eine reine Schweineschlachtung eine Betriebsänderung i.S.d. Betriebsverfassungsgesetzes liege, vor deren Durchführung die Beklagte einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat hätte versuchen müssen, was – unstreitig – nicht geschehen sei. Eine Folge der Umstellung auf eine reine Schweineschlachtung sei, daß ihr Akkordverdienst nunmehr niedriger sei als in den Zeiten, in denen sie neben Schweinen auch Rinder und Kälber geschlachtet hätten. Auch unter Einbeziehung der von Husum jetzt nach Schleswig angelieferten Schweine hätten sie in der Zeit vom 1. April bis zum 31. Dezember 1990 insgesamt je 1.438,32 DM weniger verdient, als wenn die aus dem Raum Schleswig nach Husum gelieferten Rinder und Kälber in Schleswig und die aus dem Raum Husum nach Schleswig gelieferten Schweine in Husum geschlachtet worden wären.

Die Beklagte sei nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 BetrVG verpflichtet, ihnen diesen Nachteil auszugleichen. Auf diesen Nachteil seien auch nicht die Mehrverdienste anzurechnen, die dadurch entstanden seien, daß im Laufe des Jahres 1990 zusätzlich Schweine aus den neuen Ländern in Schleswig geschlachtet worden seien. Die Schlachtung von Schweinen aus den neuen Ländern sei nicht geplant gewesen und hätte auch bei Aufrechterhaltung des früheren Zustandes zusätzlich erfolgen können.

Die Kläger sind weiter Ansicht, daß sich ihre Arbeitspflicht im Laufe der Zeit auf das Schlachten von Rindern, Kälbern und Schweinen konkretisiert habe. Die Beklagte sei nicht befugt gewesen, diese Arbeitspflicht einseitig einzuschränken, so daß sie den entgangenen Verdienst auch als Verzugslohn schulde.

Der Entzug der Rinder- und Kälberschlachtung stelle auch eine Versetzung dar, die mangels Zustimmung des Betriebsrates unwirksam sei. Die Beklagte habe schließlich auch gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Festsetzung von Akkordlöhnen verstoßen, indem sie nur die niedrigeren Akkordlöhne für die Schweineschlachtung bezahlt habe.

Die Kläger haben daher beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an jeden Kläger 1.438,32 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 6. September 1990 auf den Betrag von 803,98 DM brutto und auf weitere 634,34 DM brutto seit dem 18. Februar 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, eine Betriebsänderung liege nicht vor. Mit der Umstellung auf die reine Schweineschlachtung sei eine erhöhte Produktion und verbesserte Arbeitsorganisation beabsichtigt und erreicht worden, da die zeitraubende Umstellung an den Schlachtbändern habe vermieden werden können. Der Rückgang in der Schweineschlachtung habe seine Ursache in dem Ausfall eines Viehhändlers, nicht aber in der vorgenommenen Umstellung, und sei durch die Schlachtung von Schweinen aus den neuen Ländern mehr als ausgeglichen worden. Dieser zusätzliche Verdienst aus der Schlachtung von Schweinen aus den neuen Ländern von – unstreitig – 7.762,25 DM im Anspruchszeitraum sei auf jeden Fall auf den behaupteten Nachteil anzurechnen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen diese ihren Anspruch weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist nicht begründet. Den Klägern steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Ersatz des Minderverdienstes infolge der reinen Schweineschlachtung aus den Bezirken Schleswig und Husum zu.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es läge eine Betriebsänderung vor, in der Form einer grundlegenden Änderung der Betriebsanlagen. Mit der technischen Umstellung sei die Schlachtung von Rindern und Kälbern in Schleswig unmöglich geworden. Auf den dadurch eingetretenen Nachteil der Kläger sei jedoch der Vorteil anzurechnen, der ihnen aus der Schlachtung der aus den neuen Ländern angelieferten Schweine zugeflossen sei. Dem vermag der Senat nur im Ergebnis, nicht aber in der Begründung zu folgen.

In der Umstellung auf eine reine Schweineschlachtung liegt keine Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG.

2. In der Umstellung auf eine reine Schweineschlachtung liegt zunächst keine Einschränkung des Betriebes i.S.v. § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG. Unter einer Einschränkung des Betriebes ist eine Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebes zu verstehen, die sowohl durch eine Verringerung der sächlichen Betriebsmittel als auch durch eine Einschränkung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und damit der personellen Leistungsfähigkeit des Betriebes bedingt sein kann (BAG Beschluß vom 15. Oktober 1979 – 1 ABR 49/77 – AP Nr. 5 zu § 111 BetrVG 1972).

Die personelle Leistungsfähigkeit des Betriebes hat die Beklagte nicht verringert. Es sind keine Arbeitnehmer entlassen oder auf andere Weise aus dem Betrieb abgezogen worden.

Auch die auf den sächlichen Betriebsmitteln beruhende Leistungsfähigkeit des Betriebes ist nicht herabgesetzt worden. Daß das alte Schweineschlachtband abgebaut wurde, steht dieser Wertung nicht entgegen. Am Schweine- und Rinderschlachtband ist in der Vergangenheit jeweils nur alternativ geschlachtet worden und konnte nur abwechselnd geschlachtet werden. Die auf den sächlichen Betriebsmitteln beruhende Leistungsfähigkeit des Betriebes war daher stets durch die Nutzung nur eines Schlachtbandes bestimmt. Ein Schlachtband ist nach wie vor vorhanden. Die auf der Nutzung von Schlachtbändern beruhende Leistungsfähigkeit des Betriebes ist daher gleichgeblieben.

3. Es liegt auch keine grundlegende Änderung der Betriebsanlagen i.S.v. § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG vor. Daß das neue Schweineschlachtband in technischer Hinsicht etwas grundlegend neues war oder daß es eine andere Arbeitsweise erforderte, ist nicht ersichtlich und von den Klägern nicht vorgetragen worden. Daß es an der Stelle des früheren Rinderschlachtbandes montiert wurde, stellt keine Änderung dieses Rinderschlachtbandes dar. Es handelt sich vielmehr um einen Ersatz des alten Schweineschlachtbandes durch ein neues, während das Rinderschlachtband in Wegfall gekommen ist. So haben auch die Kläger selbst vorgetragen, daß das Rinderschlachtband stillgelegt wurde.

4. Auch der Betriebszweck des Schlachthofes Schleswig hat sich nicht grundlegend geändert. Arbeitstechnischer Zweck des Betriebes war stets die Schlachtung von Rindern, Kälbern und Schweinen. Dabei überwog in der Vergangenheit das Schlachten von Schweinen sowohl hinsichtlich der Stückzahl der geschlachteten Tiere als auch hinsichtlich der Schlachteinheiten. Angesichts des Umstandes, daß mit dem Schlachten von Rindern, Kälbern und Schweinen stets die gleichen Arbeitnehmer beschäftigt waren, das Schlachten von Rindern und Kälbern einerseits und Schweinen andererseits alternativ erfolgte und sich nicht grundsätzlich voneinander unterschied und auch organisatorisch nicht getrennt war, kann in dem Schlachten der einzelnen Tierarten auch kein jeweils gesondert verfolgter Teilbetriebszweck erblickt werden.

Zumindest liegt in dem Wegfall der Rinder- und Kälberschlachtung keine grundlegende Änderung des Betriebszweckes. Der Umfang der Rinder- und Kälberschlachtung auf der einen Seite und der Schweineschlachtung auf der anderen Seite war auch in der Vergangenheit nicht abhängig von geplanten Betriebsabläufen und organisatorischen Vorkehrungen, sondern vom jeweiligen Anfall der einzelnen Tierarten, der unterschiedlichen Schwankungen unterworfen war. Der Wegfall einer Tierart ist daher nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, damit habe sich der Betriebszweck des Schlachthofes grundlegend geändert.

Auch soweit die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Begründung einer “grundlegenden” Änderung hilfsweise auf den Grad der möglichen nachteiligen Auswirkungen der Änderung für erhebliche Teile der Belegschaft abgestellt hat (BAG Beschluß vom 26. Oktober 1982 – 1 ABR 11/81 – AP Nr. 10 zu § 111 BetrVG 1972), läßt sich damit eine grundlegende Änderung des Betriebszweckes nicht begründen.

Zwar mag die Beschränkung auf die Schlachtung nur einer Tierart das Risiko in sich bergen, nicht genügend Tiere angeliefert zu bekommen, um die Betriebsanlagen im bisherigen Umfang zu nutzen; dieses Risiko allein indiziert aber noch keine erheblichen Nachteile für die mit der Schlachtung beschäftigten Arbeitnehmer. Einmal war geplant, den Wegfall der Rinder- und Kälberschlachtung durch die Schlachtung der bislang in Husum angelieferten Schweine nunmehr in Schleswig auszugleichen. Das eigene Zahlenwerk der Kläger belegt, daß diese Planung durchgehend realisiert worden ist. Die Kläger haben auch nach dem 1. April 1990 nur mit der Schweineschlachtung mehr verdient als in der Zeit davor, in der sie auch Rinder und Kälber geschlachtet haben. Daß dieser Mehrverdienst u.a. darauf zurückzuführen ist, daß auch Schweine aus den neuen Ländern geschlachtet wurden, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Für die Arbeit der Kläger ist es gleichgültig, woher die Beklagte die zu schlachtenden Schweine bezieht. Wenn sich das Schweineaufkommen aus dem Bezirk Husum – gleich aus welchen Gründen – verringerte, war es der Beklagten unbenommen, aus anderen Gebieten bezogene Schweine in Schleswig schlachten zu lassen.

Hinzu kommt, daß die Kläger keinen Anspruch darauf haben, eine bestimmte Zahl von Tieren oder Schlachteinheiten schlachten zu können. Das Risiko eines zu geringen Anfalls an Schlachtvieh ist ihnen durch einen tariflich festgelegten Garantielohn abgenommen. Über diesen hinaus haben die Kläger allenfalls eine tatsächliche Chance, bei höherem Viehanfall mehr zu verdienen. Selbst wenn diese Chance infolge der von der Beklagten geplanten Maßnahme ohne die Schweine aus den neuen Ländern verringert worden wäre, läge darin doch kein erheblicher Nachteil, der die Umstellung des Schlachtbetriebes auf eine reine Schweineschlachtung als erhebliche Änderung des Betriebszweckes kennzeichnen könnte.

Im übrigen haben die Kläger nicht vorgetragen, daß die von der Beklagten geplante Maßnahme überhaupt eine Beeinträchtigung ihrer Verdienstchancen zufolge gehabt hätte. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, daß das eingetretene geringere Volumen zu schlachtender Schweine auf dem unerwarteten Wegfall eines bisherigen Lieferanten beruhte.

Liegt damit eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG nicht vor, war die Beklagte nicht gehalten, mit dem Betriebsrat eine solche Betriebsänderung zu beraten und einen Interessenausgleich zu versuchen. Den Klägern steht daher auch nicht wegen des Fehlens eines solchen Interessenausgleichs ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG zu.

5. Auch aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten ist die Klage nicht begründet.

a) Die Beklagte geriet dadurch, daß sie den Klägern keine Rinder und Kälber mehr zur Schlachtung zuwies, nicht in Annahmeverzug. Die Beklagte hat die Kläger in der vereinbarten Arbeitszeit – und auch darüber hinaus – im Akkord mit der Schlachtung von Vieh beschäftigt. Zu dieser Arbeit waren die Kläger aufgrund ihres Arbeitsvertrages verpflichtet, die Beklagte hat die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung angenommen und tarifgerecht vergütet. Einen Anspruch darauf, eine bestimmte Menge Vieh oder Schlachteinheiten zur Schlachtung zugewiesen zu bekommen oder auch Rinder und Kälber schlachten zu können, hatten die Kläger – wie dargelegt – nicht.

b) In dem Entzug der Rinder- und Kälberschlachtung liegt auch keine Versetzung i.S.v. § 95 BetrVG, die der Zustimmung des Betriebsrates bedurft hätte. Der Entzug von Teiltätigkeiten stellt erst dann eine Versetzung dar, wenn sich dadurch der Arbeitsbereich ändert, das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers ein anderes wird (BAG Urteil vom 27. März 1980, BAGE 33, 71 = AP Nr. 26 zu § 611 BGB Direktionsrecht). Das ist nach dem Gesagten sowie der zutreffenden Würdigung durch das Landesarbeitsgericht nicht der Fall.

c) Die Beklagte hat auch keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der betrieblichen Lohngestaltung verletzt. Die Akkordlöhne der Kläger sind tarifvertraglich geregelt. Schon von daher entfällt nach dem Eingangssatz in § 87 Abs. 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, das die Beklagte verletzt haben könnte. Darüber hinaus hat die Beklagte die Akkordsätze nicht geändert, dem Kläger vielmehr diejenigen Akkordlöhne gezahlt, die nach dem Tarifvertrag für die bei der Schweineschlachtung anfallenden Schlachtarbeiten zu zahlen sind.

Nach allem erweist sich die Revision als unbegründet. Die Kosten der Revision haben die Kläger zu tragen, § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Schömburg, Eckhardt

 

Fundstellen

Haufe-Index 845813

NZA 1993, 1142

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Personal Office Standard. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge