Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorbeschäftigungsverbot im Befristungsrecht. Schutzzweck des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG. Unverhältnismäßigkeit des Vorbeschäftigungsverbots

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist eine sachgrundlose Befristung nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits früher ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform auszulegen.

2. Der Schutzzweck des Vorbeschäftigungsverbots besteht darin, die Gefahr einer Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten zu verhindern und auch eine Gefährdung der sozialen Sicherung durch Abkehr vom unbefristeten Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu vermeiden.

3. Eine verfassungskonforme Auslegung des Vorbeschäftigungsverbots führt dazu, dass eine Vorbeschäftigung, die sehr lange zurückliegt, ganz anders geartet oder nur von kurzer Dauer war, einer sachgrundlosen Befristung nicht entgegensteht. So ist eine dreizehn Jahre zurückliegende achtwöchige Aushilfsbeschäftigung nach umfassender Interessenabwägung kein Hindernis für eine (neue) sachgrundlose Befristung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG.

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1; ArbGG § 46c Abs. 6 S. 2; ZPO § 130a Abs. 6 S. 2; TzBfG § 14 Abs. 2 Sätze 1-2; BGB § 622 Abs. 1; BVerfGG § 31 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 08.01.2020; Aktenzeichen 5 Ca 1908/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 15.12.2021; Aktenzeichen 7 AZR 530/20)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 08.01.2020 - 5 Ca 1908/19 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer sachgrundlosen Befristung geendet hat.

Der 1972 geborene Kläger war bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten in der Zeit vom 21. Juni 2004 bis 14. August 2004 (acht Wochen) als Aushilfe tätig, wobei zwischen den Parteien der genaue Inhalt der ihm übertragenen Aufgaben streitig ist. Er war seinerzeit eingruppiert in die tarifliche Entgeltgruppe E1 und verdiente für die acht Wochen insgesamt € 4.444,00 brutto.

Zwischen den Jahren 2012 und 2017 war der Kläger über verschiedene Zeitarbeitsfirmen als Leiharbeitnehmer im Betrieb der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin tätig, und zwar in der Zeit vom 01. Oktober 2012 bis 28. Februar 2014 über die Zeitarbeitsfirma a. in Halle 61 mit den Tätigkeitsschwerpunkten Maschinenführer an der Presse, Produktionshelfer und Bediener des Ofens, im Zeitraum vom 4. August 2016 bis 31. August 2018 über die Zeitarbeitsfirma F. in Halle 7 an der Pressmaschine und in der Zeit vom 10. Februar 2017 bis 31. August 2017 erneut über die Firma F. in der Halle 61. Im Frühjahr/Sommer 2017 suchte die Beklagte ca. 40 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als befristete Aushilfen. Während seines Einsatzes als Leiharbeitnehmer für die Firma F. im Betrieb der Beklagten bewarb sich der Kläger mit Schreiben vom 8. Juni 2017 um einen Arbeitsplatz als Maschinenbediener. Er wies in diesem Bewerbungsschreiben darauf hin, er arbeite in einem Zeitvertrag bei der Firma F. und sei bereits im Betrieb der Beklagten eingesetzt als Maschinenführer seit dem 4. August 2016.

Der Kläger fügte seinem Bewerbungsschreiben einen Lebenslauf bei, in dem er zu seiner Berufstätigkeit unter anderem darauf hinwies, er sei in der Zeit vom 01. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004 als Maschinenführer für die Firma M. K. GmbH (einjährig befristeter Arbeitsvertrag) tätig gewesen und habe in der Zeit vom 01. Oktober 2012 bis 28. Februar 2014 über die Zeitarbeitsfirma a. bei der Firma H. gearbeitet. Der Lebenslauf ist im Übrigen - bezogen auf die Berufstätigkeit - erkennbar lückenhaft.

Aufgrund der Bewerbung lud die Beklagte den Kläger zu einem "Bewerber-Informationstag" ein, der am 20. Juli 2017 stattfand. Der Kläger arbeitete als Leiharbeitnehmer an diesem Tag in seiner Schicht, wurde vom Arbeitsplatz gerufen, um einen Personalbogen auszufüllen sowie einen praktischen und mündlichen Test zu absolvieren.

Die im Personalfragebogen gestellte Frage, ob er schon einmal in "unserem Unternehmen (F.-M. B. GmbH) oder deren Rechtsvorgängern (J., A. S., H.)" beschäftigt gewesen sei, kreuzte der Kläger "nein" an. Die Frage, ob er schon einmal über ein Zeitarbeitsunternehmen bei der Beklagten beschäftigt gewesen sei, kreuzte er mit "ja" an und nannte den Zeitraum vom 01. Januar 2012 bis 28. September 2014 (a.).

Nach Durchlauf der Bewerbungen einigten sich die Beklagte und der am Verfahren beteiligte Betriebsrat darüber, wer eingestellt wird.

Die Parteien schlossen unter dem 21. Juli 2017 einen befristeten Arbeitsvertrag für tarifliche Arbeitnehmer, und zwar beginnend am 01. September 2017 als Maschinenführer-Aushilfe. Das Arbeitsverhältnis war zunächst befristet bis 31. Dezember 2017 und wurde sodann zweimal verlänger...

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