Entscheidungsstichwort (Thema)

Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX nicht einklagbar

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verpflichtung des Arbeitgebers, bei Vorliegen der Voraussetzungen ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, stellt keinen klagbaren Anspruch des Arbeitnehmers dar.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein ausdrücklicher Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements ist weder vom Gesetzgeber vorgesehen, noch in § 167 Abs. 2 SGB IX ausformuliert worden.

2. Das Gesetz richtet sich an dieser Stelle vielmehr an den Arbeitgeber und verpflichtet diesen, mit den zuständigen Interessenvertretern und dem betroffenen Arbeitnehmer ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Dies ist zwar eine Verfahrensverpflichtung des Arbeitgebers, deren Nichtbeachtung aber nicht mit einer Leistungsklage einklagbar ist, sondern nur in anderer Weise rechtshängig gemacht werden kann, z.B. im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens oder in einem Prozess auf Schadensersatz nach § 280 bzw. 823 Abs. 2 BGB.

 

Normenkette

SGB IX § 167 Abs. 2; BGB § 241 Abs. 2, §§ 280, 823 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Würzburg (Entscheidung vom 28.01.2020; Aktenzeichen 2 Ca 1068/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 07.09.2021; Aktenzeichen 9 AZR 571/20)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg - Kammer Aschaffenburg - vom 28.01.2020 - Az.: 2 Ca 1068/19 - abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM).

Der Kläger ist bei der beklagten Gemeinde seit 03.07.2000 als Arbeiter beschäftigt. Bis Oktober 2015 wurde er auf dem Bauhof eingesetzt. Zuletzt war er auf dem von der Beklagten unterhaltenen Eigenbetrieb Campingplatz und K... Seenbäder tätig. Seine Bruttomonatsvergütung beträgt derzeit 2.907,26 Euro brutto. Bei einem festgestellten Grad der Behinderung von 30 ist der Kläger einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Im Jahr 2018 war der Kläger an insgesamt 122 Tagen arbeitsunfähig erkrankt, in der Zeit vom 01.01.2019 bis 25.08.2019 an 86 Tagen. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 02.08.2019 ließ der Kläger die Durchführung eines BEM beantragen. Dieser Antrag wurde seitens des Bürgermeisters der Beklagten mit Schreiben vom 19.08.2019 abgelehnt. Der Kläger erhob mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 23.09.2019 Klage beim Arbeitsgericht.

Der Kläger vertritt die Auffassung, er habe gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Durchführung des BEM gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien ohne weiteres gegeben. Selbst wenn man davon ausgehen solle, dass es sich bei den dort geregelten Verpflichtungen des Arbeitgebers um öffentlich-rechtliche Pflichten handele, stellten diese gleichwohl echte Rechtspflichten dar, die jedenfalls im Rahmen vertraglicher Nebenpflichten durch den Arbeitgeber und vorliegend durch die Beklagte zu berücksichtigen seien. Auch in der Vergangenheit habe die Beklagte den Anspruch auf Durchführung eines BEM nicht erfüllt. Seiner Versetzung in den Eigenbetrieb Seenbäder und Campingplatz sei kein BEM vorausgegangen. Den Anspruch auf Durchführung eines BEM könne die Beklagte nicht dadurch umgehen, indem sie ins Blaue hinein behaupte, seine Erkrankung stünden in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den zugewiesenen Tätigkeiten. Es sei befremdlich, wenn die Beklagte die Durchführung des BEM für eine sinnlose Förmelei halte, obwohl sie im Falle des Klägers zu keinem Zeitpunkt ein derartiges Verfahren durchgeführt habe.

Der Kläger hat erstinstanzlich folgenden Antrag gestellt:

Die Beklagte wird verurteilt mit dem Kläger ein betriebliches Eingliederungsmanagement gem. § 167 SGB IX unter Beteiligung ihres Personalrats und ihrer Schwerbehindertenvertretung sowie unter Beteiligung des Integrationsamtes und der Rehabilitationsträger durchzuführen und mit diesen zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz des Klägers erhalten werden kann.

Die Beklagte hat erstinstanzlich Klageabweisung beantragt.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe kein individueller arbeitsvertraglicher Anspruch auf Durchführung eines BEM zu. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 167 SGB IX. Hiernach habe der Arbeitgeber lediglich ein Initiativrecht zur Einleitung eines BEM und müsse sich im Falle des Ausspruchs einer Kündigung und unterlassenem BEM gegebenenfalls mit der Frage der Verhältnismäßigkeit seiner Kündigung intensiv auseinandersetzen. Bereits in den Jahren 2014 und 2015 habe es mit 76 bzw. 112 Arbeitstagen erhebliche Fehlzeiten des Klägers gegeben. Die Übertragung des neuen Arbeitsplatzes im Bereich des Eige...

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