Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs wegen eines Verfahrensfehlers. Arbeitsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Über einen Antrag auf Vertagung der Sitzung hat die Einigungsstelle mit Mehrheit zu beschließen.

2. Es liegt ein Verfahrensfehler vor, wenn der Vorsitzende der Einigungsstelle allein über den Vertagungsantrag entscheidet.

3. Es ist ermessensfehlerhaft, wenn die Sitzung einer Einigungsstelle mit Schlussberatung und Abstimmung über den zunächst verabredeten Endzeitpunkt hinaus fortgesetzt wird, obwohl für einen Beisitzer die weitere Teilnahme an der Sitzung zumutbar ist und auch kein Ersatzbeisitzer geladen worden ist. Ein in Abwesenheit des Beisitzers gefasster Spruch der Einigungsstelle ist wegen Verstoßes gegen elementare Verfahrensgrundsätze unwirksam.

4. Eine Pairing-Regelung bedarf der Zustimmung aller Mitglieder der Einigungsstelle.

 

Normenkette

BetrVG § 76

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Beschluss vom 17.11.2004; Aktenzeichen 6 BV 26/04)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 17. November 2004 – 6 BV 26/04 – abgeändert:

  1. Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11. Februar 2004 betreffend einer Regelung betrieblicher Arbeitsschutzmaßnahmen über Arbeitsmittel (Tasche, Karren und Taschenlampe), Schutzkleidung (Jacke, Handschuhe und Spikes)und persönliche Schutzausrüstung (Reflektoren und Warnhilfsmittel) unwirksam ist.
  2. Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.

Die Beteiligten verhandelten seit längerer Zeit über die den Zeitungszustellern zur Verfügung zu stellenden Arbeitsschutzmittel, seit März 2001 in der hierfür eingesetzten Einigungsstelle. Sitzungen der Einigungsstelle fanden statt am 20. Juli 2001, 13. September 2001, 6. Dezember 2001 und nach längerem Stillstand am 22. Januar 2004. Am 22. Januar 2004 vertagte sich die Einigungsstelle auf den 11. Februar 2004, 14.30 Uhr, wobei der Vorsitzende darum bat, dass an diesem Tag die Betriebsräte sich ab etwa 17.30 Uhr für den Beschluss über eine Betriebsvereinbarung im Betrieb bereit halten sollten.

Vor der Sitzung am 11. Februar 2004 teilte der Vorsitzende mit, aufgrund der Stellungnahmen der Beteiligten zu einem von ihm übermittelten Entwurf einer Betriebsvereinbarung bezweifele er, dass eine Einigung erzielt werden könne, er werde seinen Entwurf zur Abstimmung stellen und bei einer Ablehnung dem Regelungsvorschlag der Beteiligten zustimmen, der seinen Vorstellungen am nächsten komme.

Am 11. Februar 2004 erschien der Vorsitzende aufgrund einer Verkehrsstörung erst um 15.30/15.40 Uhr im Sitzungsraum. Er versuchte sodann in mehreren getrennten Gesprächen mit jeweils den Beisitzern einer Seite und dem betreffenden Verfahrensbevollmächtigten eine mehrheitsfähige Beschlussvorlage zu finden. Gegen 18.00 Uhr erklärte der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats, dass er gegen 22.15 Uhr den Betrieb verlassen müsse, um nach Berlin zurückzureisen. Auch danach führte der Vorsitzende die getrennten Gespräche weiter. Die Betriebsräte, die sich für eine Beschlussfassung bereit gehalten hatten, verließen den Betrieb.

Gegen 22.00 Uhr überreichte der Vorsitzende jeder Seite den Entwurf einer Betriebsvereinbarung. Die vom Betriebsrat bestellten Beisitzer baten ihn um einen Teilspruch, der einige zu regelnde Gegenstände zunächst ausnehme. Zudem baten sie ihn um Vertagung der Verhandlung, da der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats am nächsten Morgen in B sein müsse und ein vom Betriebsrat bestellter Beisitzer, Herr A, am nächsten Morgen einen Termin in der Nähe der tschechischen Grenze habe. Der Vorsitzende lehnte den Vertagungsantrag mit der Begründung ab, er strebe eine abschließende Regelung an und sehe keinen hinreichenden Vertagungsgrund. Als der Vorsitzende um 22.15 Uhr alle Einigungsstellenmitglieder zusammenrufen wollte, stellte er fest, dass die vom Betriebsrat bestellten Beisitzer und der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats nicht mehr im Betrieb anwesend waren. Der Vorsitzende ließ in Abwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin zunächst über seinen Entwurf und sodann über den Entwurf der von der Arbeitgeberin bestellten Beisitzer abstimmen, wobei er nicht mitstimmte. Sein Entwurf wurde einstimmig abgelehnt, während dem Entwurf der von der Arbeitgeberin bestellten Beisitzer einstimmig zugestimmt wurde. Sodann stellte er fest, dass die Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt sei.

Am 8. März 2004 erhielt der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats das Protokoll der Sitzung vom 11. Februar 2004 sowie den Spruch der Einigungsstelle.

Mit dem am 20. April 2004 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen Antrag begehrt der Betriebsrat Feststellung, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam ist.

Er ist der Ansicht, der Spruch sei am 11. Februar 2004 unter Verstoß gegen wesentlic...

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