Entscheidungsstichwort (Thema)

Absichtliches Anhusten mit Corona als wichtiger Kündigungsgrund. Vorsätzliches und provokatives Husten als Kündigungsgrund. Abmahnung als Voraussetzung für Kündigung wegen Verletzung der Abstandsregeln. Darlegung- und Beweislast des Arbeitgebers für Tatvorwurf

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das vorsätzliche Anhusten eines Arbeitskollegen mit den Worten "Ich hoffe, Du bekommst Corona" berechtigt auch ohne vorherige Abmahnung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber.

2. Allerdings trägt der Arbeitgeber bei der Tatkündigung die Darlegungs- und Beweislast für den Kündigungsvorwurf.

3. Die Verletzung von pandemiebedingten Abstandsregeln im Betrieb rechtfertigt ohne vorangegangene einschlägige Abmahnung keine Kündigung.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 314 Abs. 2; ZPO § 286; KSchG §§ 4, 13; ArbGG § 72 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Solingen (Entscheidung vom 20.08.2020; Aktenzeichen 3 Ca 457/20)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 20.08.2020 - Az.: 3 Ca 457/20 - teilweise abgeändert und die Klage hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrages (Tenor Ziffer 2) abgewiesen.

  • II.

    Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

  • III.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4.

  • IV.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch Ausspruch einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen, fristlosen Kündigung vom 03.04.2020 sowie über den Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers.

Der am 20.05.1996 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.08.2015 zunächst als Auszubildender und seit dem 17.01.2019 als Jung-Zerspanungsmechaniker zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 3.116,50 € zuzüglich einer Leistungszulage in Höhe von 233,74 € brutto beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der schriftliche Arbeitsvertrag vom 14.11.2019 (Blatt 411 ff. der Akte).

Die Beklagte stellt an ihrem Standort in V. unter anderem Rasierklingen her und beschäftigt ca. 520 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist eingerichtet, ebenso eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, deren Mitglied der Kläger ist.

Mit Schreiben vom 31.07.2019 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung wegen einer privaten Handynutzung während der Arbeitszeit (Blatt 100 f. der Akte).

Mit Schreiben vom 16.09.2019 erteilte die Beklagte dem Kläger zudem eine Abmahnung wegen einer - aus ihrer Sicht - nicht fachgerechten Ausführung einer Arbeitsaufgabe (Blatt 102 der Akte).

Mit E-Mail vom 28.02.2020 (Blatt 50 ff. der Akte) übersandte die Beklagte allen Mitarbeitern eine Bekanntmachung. In dieser forderte sie die Mitarbeiter auf, aufgrund eines erhöhten Infektionsrisikos in Bezug auf Magen-Darm-Erkrankungen, Hygiene- und Schutzmaßnahmen einzuhalten und unter anderem in die Ellenbeuge oder in ein Taschentuch zu niesen bzw. zu husten.

Mit Rücksicht auf die Einstufung der Ausbreitung des Coronavirus als Pandemie durch die WHO aktivierte die Beklagte am 11.03.2020 ihren internen Pandemieplan. Hierüber informierte sie mit E-Mail vom 13.03.2020 die Belegschaft. Der eingesetzte Krisenstab habe eine Anzahl von Beschlüssen zur Eindämmung der Ausbreitung von Covid19 gefasst. Unter anderem gelte das Bedecken von Mund und Nase beim Husten oder Niesen mit einem Papiertaschentuch oder Ärmel als Verhaltensregel. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Abschrift des Schreibens der Beklagten vom 13.03.2020 (Blatt 54 f. der Akte).

Die Verhaltensregeln und Hygieneanweisungen druckte die Beklagte ferner auf Handzetteln aus und verteilte sie im Betrieb. Zudem wurden sie auf Monitoren in der Werkshalle mitgeteilt und mündlich durch die Führungskräfte kommuniziert.

In einer Abteilungsversammlung am 17.03.2020 ordnete der Teamleiter und Vorgesetzte des Klägers, Herr P., die Einhaltung von Hygieneregeln wie das Händewaschen und den Verzicht auf Körperkontakt an.

Am Nachmittag des 17.03.2020 gegen ca. 15 Uhr führte der Kläger ein Gespräch mit dem Auszubildenden T.. Im Verlauf dieses Gesprächs hat der Kläger mindestens einmal gehustet, ohne dabei den Mund - insbesondere mit der Armbeuge - bedeckt zu haben. Dabei stand er in der Nähe des Herrn T., wobei die Einhaltung des Sicherheitsabstandes von 1,5 Metern ebenso wie der weitere Verlauf des Gesprächs und etwaige Äußerungen des Klägers in diesem Zusammenhang zwischen den Parteien streitig sind. Zeitlich danach fand am 17.03.2020 ein Gespräch des Vorgesetzten Herrn P. und des Herrn C. in Anwesenheit des Arbeitskollegen X., der sich zuvor auch in der Nähe des Gesprächs zwischen dem Kläger und Herrn T. aufgehalten hatte, mit dem Kläger statt, in dem er auf die Konsequenzen einer Covid19 Infektion für den Betrieb hingewiesen wurde. Die Reaktion des Klägers in diesem Gespräch ist zwischen den Parteien streitig.

Mit E-Mail vom 18.03.2020 (Blatt 31 der Akte) forderte die Beklagte alle Mitarbeiter auf, Abstand zueinander zu halten und Hygiene...

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