Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten (Nahrungsaufnahme)

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes für einen Lkw-Fahrer, der sich eine Mahlzeit auf einem Autobahnrastplatz zubereitet.

 

Orientierungssatz

1. Die Einnahme von Mahlzeiten und deren Zubereitung ist dem eigenwirtschaftlichen, nicht unfallversicherungsrechtlich geschützten Bereich zuzurechnen, es sei denn, daß besondere Umstände das Moment der Eigenwirtschaftlichkeit zurücktreten lassen.

2. Werden die Art der Nahrungszubereitung sowie die Wahl von Ort und Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme eines Arbeitnehmers wesentlich von betrieblichen Gesichtspunkten geprägt, so besteht ein den Unfallversicherungsschutz begründender innerer Zusammenhang zwischen der geschützten Tätigkeit und der ansonsten dem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnenden Nahrungsaufnahme.

 

Normenkette

RVO § 548 Abs 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 02.10.1985; Aktenzeichen III UBf 50/83)

SG Hamburg (Entscheidung vom 26.10.1983; Aktenzeichen 25 U 35/83)

 

Tatbestand

Die am Verfahren beteiligten Sozialversicherungsträger streiten darüber, wer von ihnen für die Tragung der Kosten des tödlichen Unfalls des H. K. am 12. Mai 1980 zuständig ist. Sozialgericht (SG; Urteil vom 26. Oktober 1983) und Landessozialgericht (LSG; Urteil vom 2. Oktober 1985) sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, K. habe keinen Arbeitsunfall erlitten, so daß die beklagte Krankenkasse für die entsprechenden Kosten aus Anlaß des Unfalles aufzukommen habe. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Am Nachmittag des Unfalltages trat K. zusammen mit einem anderen Kraftfahrer für seine Arbeitgeberin mit einem Lastkraftwagen eine Fahrt an, um Waren auszuliefern. Da die Auslieferung an diesem Tage nicht mehr möglich war, richteten die beiden sich auf einem Autobahnrastplatz zum Essen und Übernachten ein. Infolge einer durch Spiritus hervorgerufenen Stichflamme zog K. sich beim Grillen Brandverletzungen zu, an deren Folgen er am 31. Mai 1980 verstarb.

Die Klägerin trug Transport- und Behandlungskosten in Höhe von rund 80.000,-- DM. Ihrem Erstattungsbegehren kam die Beklagte nicht nach, weil K. nach ihrer Auffassung einen Arbeitsunfall erlitten habe. Demgegenüber stellte das SG antragsgemäß fest, daß die Beklagte der für den Unfall zuständige Versicherungsträger sei. K. habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Nach den Gesamtumständen sei davon auszugehen, daß das Grillen nicht der Wiederherstellung der Fahrtüchtigkeit der beiden Arbeitskollegen gedient habe, zumal da sie die Fahrt erst am nächsten Tag hätten fortsetzen wollen. Vielmehr seien die Tätigkeiten während der Pause auf dem Rastplatz ihrem privaten Lebensbereich zuzurechnen. Auch von einer Arbeitsbereitschaft sei nicht zu sprechen. Selbst wenn man von der Notwendigkeit der dauernden Beaufsichtigung des Fahrzeuges ausgehen müsse, habe lediglich eine sog gemischte Tätigkeit vorgelegen, in deren Vordergrund allein die private Pausengestaltung gestanden habe. K. habe daher keinen Arbeitsunfall erlitten.

Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Es sei nicht hinreichend wahrscheinlich, daß ein Zusammenhang zwischen der Essens vorbereitung und der an sich versicherten Tätigkeit als Kraftfahrer bestanden habe. Die Essenszubereitung sei grundsätzlich dem privaten unversicherten Lebensbereich zuzurechnen. Im vorliegenden Falle hätten keine über das übliche Maß hinausgehenden betrieblichen Interessen an der Nahrungsaufnahme bestanden. Dies ergebe sich aus der Absicht, die Fahrt erst am folgenden Tag fortzusetzen. Vorherige kleinere Tätigkeiten auf dem Rastplatz seien - auch für den Betrieb - unbedeutend gewesen. Im Unfallzeitpunkt hätten die beiden Kraftfahrer bereits "Feierabend" gehabt. Daran seien sie auch durch eine etwaige Arbeitsbereitschaft nicht maßgebend gehindert gewesen.

Im Revisionsverfahren vertritt die Beklagte die Auffassung, das LSG habe nicht alle Grundsätze des Unfallrechts berücksichtigt. Zwar sei die Essenseinnahme als eigenwirtschaftliche Tätigkeit anzusehen. Jedoch müsse beachtet werden, daß K. sich aus dienstlichen Gründen auf Reisen befunden habe, so daß die für Dienstreisen geltenden weitergehenderen Regeln des Versicherungsschutzes anzuwenden seien. Auf Dienstreisen sei auch die private Lebensgestaltung teilweise der Betriebstätigkeit zuzurechnen. Anders als zu Hause sei der Reisende außerhalb gezwungen, weitergehendere Risiken auf sich zu nehmen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Oktober 1983 und das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. Oktober 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Überzeugung steht auch auf Dienstreisen die Essenszubereitung grundsätzlich nicht unter Versicherungsschutz. Im vorliegenden Falle habe es jedenfalls keine betrieblichen Gründe für die Essenszubereitung gegeben.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat ist mit dem LSG der Ansicht, daß auch unter Beachtung des § 14 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) weder dem angefochtenen Urteil noch den vorliegenden Akten oder dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen ist, daß das LSG bei seiner Entscheidung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sein könnte (s auch BSGE 59, 4 = SozR 1500 § 22 Nr 1 und BSG SozR 1500 § 14 Nr 2; BVerfG SozR 1500 § 13 Nr 1).

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist begründet. Da K. nach der Überzeugung des erkennenden Senats am 12. Mai 1980 einen Arbeitsunfall erlitt, ist nicht sie, sondern vielmehr die Klägerin als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung der zuständige Versicherungsträger.

Die von der Klägerin angestrebte - und bei SG und LSG erreichte - Feststellung, daß die Beklagte für den Unfall des K. zuständig ist (§ 55 Abs 1 Nr 2 SGG), setzt voraus, daß K. keinen Arbeitsunfall erlitt. Daher haben die Vorinstanzen geprüft, ob K. sich die Verbrennungen am 12. Mai 1980 bei seiner Arbeitstätigkeit zugezogen hat (§ 548 Abs 1 Satz 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Diese Frage bejaht der erkennende Senat im Gegensatz zu SG und LSG.

Der Senat hat zuletzt in seinem Urteil vom 30. April 1985 (BSGE 58, 76, 77) im einzelnen dargelegt, unter welchen Voraussetzungen bei einer bestimmten Tätigkeit Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung angenommen werden kann. Er hat dargelegt, daß hierfür ein innerer - sachlicher - Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der unfallbringenden Handlung vorhanden sein muß. Dieser Zusammenhang wird - anders als das LSG annimmt - nicht durch eine kausale Verknüpfung des unfallbringenden Verhaltens mit der versicherten Tätigkeit hergestellt. Vielmehr ist wertend zu entscheiden, ob das Handeln der betreffenden Person - hier: Grillen auf einem Rastplatz - zur versicherten Tätigkeit gehört. Demgemäß kann die Antwort auf die hier ausschlaggebende Frage des sachlichen Zusammenhanges zwischen der versicherten Arbeit und dem konkreten Handeln des Betreffenden nur aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalles gegeben werden. Es ist dabei insbesondere zu prüfen, ob das Verhalten des Versicherten der - Aufnahme der (Urteil vom 14. August 1986 - 2 RU 50/85) - versicherten Tätigkeit dienen soll (BSGE 58 aaO), oder ob die besonderen Umstände der Tätigkeit als solche von bedeutsamem Einfluß auf das Verhalten des Versicherten sind (BSG SozR 2200 § 548 Nr 68). Dabei genügt nicht, daß der Unfall sich mit Wahrscheinlichkeit bei einer versicherten Tätigkeit ereignet hat; vielmehr muß für die unfallauslösende Handlung, die der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, der volle Beweis erbracht werden (BSGE 58, 80, 83 mwN).

Danach ist der innere Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Nahrungsaufnahme nicht nur gegeben, wenn - worauf das Berufungsgericht und die Klägerin abstellen - die Nahrungsaufnahme der Wiederherstellung oder der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit eines Kraftfahrers wesentlich dient, dessen Fahrtüchtigkeit für die Weiterfahrt sonst beeinträchtigt gewesen wäre (s ua BSG SozR Nr 40 zu § 543 RVO aF; BSG USK 73246), was hier kurz vor dem Ziel nicht der Fall gewesen wäre. Auch bei einer Nahrungsaufnahme, die selbst nicht im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, können die zum Unfall führenden Umstände durch die versicherte Tätigkeit geprägt und damit ihr zuzurechnen sein.

Im vorliegenden Falle sind die Umstände, welche zum Grillen auf dem Rastplatz und damit zum Unfall führten, durch die Arbeitstätigkeit des K. maßgebend geprägt. Nach Auffassung des erkennenden Senats darf zum Unfall führendes Verhalten nicht ohne die Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes - sozusagen abstrakt - betrachtet werden, weil dann der sachliche Zusammenhang zwischen dem Handeln und der Arbeit von vornherein außer Betracht bleibt. Der Senat hat daher beispielsweise in dem oben angeführten Urteil (BSG SozR 2200 § 548 Nr 68) Versicherungsschutz auf einem Abstecher bejaht, welchen ein Versicherter unternahm, um zu Hause telefonische Mitteilung über seine dreistündige Verspätung zu machen, weil diese ungewöhnlich und unternehmensbestimmt war. Der Senat hat damit dem Umstand Rechnung getragen, daß auch das an sich eigenwirtschaftliche Tun von betrieblichen Umständen derart beherrscht sein kann, daß es der versicherten Tätigkeit sachlich zugerechnet werden muß. Mit vollem Recht weist die Revision in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für Unfälle auf Dienstreisen (umfangreiche Nachweise bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 481u ff) hin. Das BSG hat beispielsweise, was im vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse sein dürfte, "die den besonderen Umständen einer Dienstreise ins Ausland angepaßte Einnahme des Abendessens" als für die Bejahung von Versicherungsschutz erheblich angesehen (BSG SozR 2200 § 548 Nr 50; hierzu ferner die im Verfahren bereits erörterte Entscheidung BSG SozR RVO aF § 542 Nr 40 sowie BSG Breithaupt 1969, 755 f; BSG USK 7462 und 73246). Im vorliegenden Rechtsstreit ist das Unfallgeschehen in vielfacher Hinsicht durch die Tätigkeit des K. als Kraftfahrer mitgeprägt. Sowohl die Auswahl des Pausen- und Essensortes als auch die damit verknüpfte unfallbringende Art der Essensbereitung waren durch die Auslieferungsfahrt und ihren relativ späten Antritt mit dem LKW mit der Notwendigkeit einer Übernachtung und dem Bestreben, den LKW nicht unbeaufsichtigt stehen zu lassen, maßgebend bestimmt. Diese Modalitäten und ihr betriebsbezogener Charakter stellen nach Auffassung des Senats den inneren - sachlichen - Zusammenhang zwischen der Betriebstätigkeit und den Modalitäten der Essenszubereitung durch K. am 12. Mai 1980 her.

Da K. folglich einen Arbeitsunfall erlitt, ist die Klägerin als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung der zuständige Versicherungsträger. Die angefochtenen Urteile mußten aufgehoben und ihre Klage abgewiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665686

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