Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 07.04.1993)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. April 1993 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Lohnkostenzuschusses nach den Richtlinien zur Durchführung der „Aktion Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose” der Bundesregierung (BeschäftigungshilfeRL) vom 16. Juni 1989 (BAnz Nr 111 vom 20. Juni 1989).

Die Klägerin hatte zum 1. Januar 1990 den im Jahre 1933 geborenen Erich Sch. (Sch.) als Assistenten der Geschäftsführung eingestellt. Das Monatsgehalt betrug 5.000,00 DM brutto bei einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden. Sch. war seit dem 1. Juli 1988 arbeitslos gewesen. Vor der Arbeitsaufnahme bei der Klägerin hatte die Beklagte Lohnkostenzuschüsse für eine zunächst beabsichtigte Einstellung des Sch. bei einer Firma W. … bewilligt. Sch. hatte diese Arbeit jedoch nicht aufgenommen, sondern sich für eine Beschäftigung bei der Klägerin entschieden.

Am 26. Februar 1990 beantragte die Klägerin, ihr einen Lohnkostenzuschuß nach den BeschäftigungshilfeRL für Sch. zu gewähren. Die Beklagte lehnte den Antrag ua mit der Begründung ab, daß er nicht vor Beginn des Beschäftigungsverhältnisses gestellt worden sei (Bescheid vom 25. April 1990, Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1990). Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. November 1991, Urteil des Hessischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 7. April 1993). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, es könne offenbleiben, ob die Gewährung eines Lohnkostenzuschusses allein aufgrund einer Richtlinie, also ohne gesetzliche Grundlage, zulässig sei. In jedem Fall sei die verfahrensmäßige Voraussetzung des § 7 BeschäftigungshilfeRL nicht erfüllt. Der Antrag sei nicht vor Beginn des Arbeitsverhältnisses gestellt worden. Hierbei handele es sich nicht um eine materielle Ausschlußfrist, da die hohen Voraussetzungen des § 27 Abs 5 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X) nicht erfüllt seien. Der Verstoß gegen das Antragserfordernis sei beachtlich, weil sog Mitnahmeeffekte vermieden werden sollten. Eine Wiedereinsetzung nach dem analog anzuwendenden § 27 Abs 1 SGB X scheide aus. Die Klägerin sei nicht unverschuldet an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen.

Die Klägerin hat die zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 1, 2 Nr 6, 5, 14, 97 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), der §§ 1, 2, 13, 14, 16 Abs 3, 17, 19, 31, 39 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) und der §§ 26, 27 SGB X. Sie ist der Auffassung, dem Gesetzesvorbehalt des § 31 SGB I sei insoweit genügt, als sich aus den BeschäftigungshilfeRL iVm dem entsprechenden Haushaltsplan ergebe, zu welchem Zweck die Leistung gewährt werde. Für die einschränkende, von der Beklagten als zwingend angesehene Voraussetzung der vorherigen Antragstellung sei jedoch keine gesetzliche Grundlage vorhanden. Im übrigen sei der Beklagten die sachgerechte Ermessensausübung durch die verspätete Antragstellung nicht versperrt worden. In jedem Fall habe eine Nachsichtgewährung zu erfolgen, weil das Ziel der Leistungsnorm erfüllt sei. Das Urteil des LSG verletze das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. April 1993, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. November 1991 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. April 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die rechtlichen Ausführungen des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 25. April 1990 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1990, mit dem die Gewährung eines Lohnkostenzuschusses abgelehnt worden ist.

Verfahrenshindernisse, die bei zulässiger Revision zu beachten sind, stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Die Berufung der Klägerin war zulässig. Dies beurteilt sich nach den Berufungsvorschriften, die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (RpflEntlG) vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50), also bis zum 28. Februar 1993, gegolten haben (Art 8 Nr 5, 14 Abs 1 Satz 1 und 15 Abs 1 RpflEntlG). § 144 Abs 1 Nr 2 SGG aF schloß die Berufung nicht aus. Zwischen den Beteiligten sind wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen bzw 3 Monaten im Streit. Auch § 147 SGG aF greift nicht. Streitig ist nicht die Höhe der Leistungen, sondern das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach.

Die erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) ist die richtige Klageart. Nach den – noch darzulegenden – Rechtsgrundlagen besteht kein Rechtsanspruch auf Zahlung eines Lohnkostenzuschusses. Seine Gewährung steht im Ermessen der Beklagten. Die Klägerin kann daher unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides nur die Verpflichtung der Beklagten begehren, ihr unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen. Eine solche Bescheidungsklage ist Verpflichtungsklage (Meyer-Ladewig, Komm z SGG, 5. Aufl, § 54 Rz 6). Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 54 Abs 1 SGG sind gegeben (Vorliegen eines ablehnenden Verwaltungsaktes, Klagebefugnis).

In der Sache hat die Revision keinen Erfolg.

Der geltend gemachte Anspruch läßt sich allein auf Regelungen in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zugunsten Dritter stützen. Weder das AFG noch eine sonstige sozialrechtliche Norm sehen die Gewährung des beantragten Lohnkostenzuschusses vor. Der Senat braucht in diesem Zusammenhang nicht zu erörtern, ob Richtlinien als Verwaltungsvorschriften originäres Administrativrecht mit Außenwirkung darstellen können (so Ossenbühl, Autonome Rechtsetzung der Verwaltung, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 1988, Bd III, S 444 ff) oder ob sich die gerichtliche Überprüfbarkeit auf die ständig geübte Handhabung durch die Verwaltung unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgrundsatzes beschränkt (vgl hierzu BVerwGE 44, 136, 138; 58, 45, 50 ff; BVerwG Buchholz 232 § 25 BBG Nr 1 = DVBl 1982, 195, 197; Buchholz 310 § 137 VwGO Nr 148 = NJW 1988, 2907). Die im anhängigen Verfahren zu beachtenden BeschäftigungshilfeRL sind keine rechtlich isoliert zu wertenden Verwaltungsvorschriften, sondern Bestandteile eines öffentlich-rechtlichen Vertrages.

Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die Durchführung eines einmaligen Sonderprogramms „Aktion Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose” (nachfolgend Vereinbarung genannt). Hierbei handelt es sich um eine Verwaltungsvereinbarung iS eines öffentlich-rechtlichen Vertrages. Gegen ihren Abschluß bestehen im Hinblick auf § 53 Abs 1 Satz 1 SGB X keine Bedenken. Der getroffenen Vereinbarung stehen insoweit Rechtsvorschriften nicht entgegen. Vielmehr läßt § 3 Abs 5 Halbs 2 AFG ihren Abschluß ausdrücklich zu. Gerade um rechtliche Bedenken gegen eine schlichte Übertragung neuer Aufgaben auf die BA durch öffentlich-rechtlichen Vertrag auszuräumen, ist Halbs 2 in § 3 Abs 5 AFG durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 (BGBl 1983 I 1532, 1554) angefügt worden. Damit ist eine gesetzliche Grundlage für derartige Vereinbarungen geschaffen worden (BT-Drucks 10/690; 10/691 S 27; ferner Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Komm z AFG, Stand November 1994, § 3 Anm 14.4. und 14.6.).

Die hier einschlägige Vereinbarung sieht in Art I Ziff 1 die Gewährung von Lohnkostenzuschüssen an Arbeitgeber vor und stellt damit einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zugunsten Dritter iS des gemäß § 61 Satz 2 SGB X anwendbaren § 328 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫ dar (vgl zu den entsprechenden Vorschriften der §§ 54 Abs 1, 62 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz ≪VwVfG≫ auch Stelkens/Bonk/Sachs, Komm z VwVfG, 4. Aufl, § 54 Rz 25). Ob damit dem Vorbehalt des Gesetzes in § 31 SGB I sowie den weiteren Wirksamkeitsvoraussetzungen für einen öffentlich-rechtlichen Vertrag (vgl ua §§ 56, 58 SGB X) genügt ist, braucht der Senat nicht zu prüfen. Ebenso kann offenbleiben, ob die gesetzliche Vorgabe in § 3 Abs 5 Halbs 2 AFG, nach der Verwaltungsvereinbarungen nur zur Durchführung „befristeter” Arbeitsmarktprogramme zulässig sind (Hennig/Kühl/Heuer/Henke, aaO, Anm 14.6.), verletzt ist, wenn – wie hier – die Vereinbarung selbst keine Befristung enthält und in den Richtlinien die Geltungsdauer mehrfach verlängert worden ist (vgl hierzu die Änderungen vom 20. Dezember 1991 ≪BAnz Nr 2 vom 4. Januar 1992≫ und 20. Dezember 1993 ≪BAnz Nr 1 vom 4. Januar 1994≫). Ohne eine wirksame Vereinbarung wäre von vornherein kein Anspruch der Klägerin gegeben. Dieser ist jedoch auch zu verneinen, wenn deren Wirksamkeit unterstellt wird.

Nach Art I Ziff 2 der Vereinbarung erfolgt die Förderung nach Richtlinien des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA). Dessen BeschäftigungshilfeRL vom 16. Juni 1989 konkretisieren die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung. Sie stellen eine vertraglich zulässige Leistungsbestimmung dar. Dabei kann der Senat offenlassen, ob die Bestimmung durch einen der Vertragschließenden (Bundesregierung, vertreten durch den BMA) oder durch einen Dritten (sofern der BMA nicht in Vertretung der Bundesregierung gehandelt hat) erfolgt ist. In jedem Fall wird die vertragliche Absprache der Leistungsbestimmung durch die §§ 315, 317 BGB gedeckt, die gemäß § 61 Satz 2 SGB X entsprechend heranzuziehen sind. Unerheblich ist, welche Bedeutung § 9 Abs 3 BeschäftigungshilfeRL zukommt, nach dem der Präsident der BA im Einvernehmen mit dem BMA Durchführungsvorschriften erlassen kann, insbesondere ob diese – obwohl im Vertrag nicht vorgesehen – eine weitere rechtlich zu beachtende Konkretisierung der Leistungsvoraussetzungen bewirken können. Die entsprechenden Durchführungsanweisungen (DA) des Präsidenten der BA zu den BeschäftigungshilfeRL (vgl Sammelerlaß 100/89) werden für die hier vorzunehmende Auslegung nicht bedeutsam.

Die Auslegung der vertraglichen Regelungen erfolgt nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB, die ebenfalls gemäß § 61 Satz 2 SGB X entsprechend heranzuziehen sind. Einschränkungen in der rechtlichen Prüfung durch den Senat ergeben sich nicht aus den §§ 162, 163 SGG. Gegenstand der Prüfung ist zum einen revisibles Recht. Zum anderen ist der Senat an die Auslegung durch das LSG nicht gebunden.

Ungeachtet dessen, daß das LSG eine Auslegung nicht nach den Grundsätzen für die Auslegung von Willenserklärungen bzw Verträgen vorgenommen hat, kann dessen Auslegung den Senat von vornherein nicht iS von tatsächlichen Feststellungen binden (§ 163 SGG). Vorliegend geht es nicht um die Feststellung von privaten, nicht typischen Willenserklärungen, also nicht um die Feststellung, was die Erklärenden in einem Einzelfall überhaupt geäußert und was sie tatsächlich gemeint haben (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 163 Nr 2). Die Vereinbarung gestaltet iVm den BeschäftigungshilfeRL nicht ein einzelnes Vertragsverhältnis zwischen Bundesregierung und der BA. Vielmehr schafft sie die rechtliche Basis, um im Bereich des gesamten Bundesgebietes in einer Vielzahl von Fällen über Leistungen an Dritte entscheiden zu können. Die vertraglichen Regelungen stehen daher in ihrer generellen und abstrakten Bedeutung Normen gleich. Ferner können Parallelen zu den vorformulierten sog „typischen” Erklärungen, die ua im Sozialrecht verwendet werden (vgl hierzu BSGE 63, 167, 171 = SozR 5870 § 10 Nr 9), und den sog Musterverträgen, allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Verträgen des täglichen Lebens im Zivilrecht gezogen werden (vgl hierzu BGHZ 7, 365, 368; 60, 243, 245; 62, 251, 252 f; 67, 101, 103; 83, 334, 337).

Geboten ist damit eine einheitliche Auslegung der Vereinbarung und der hierzu ergangenen BeschäftigungshilfeRL, also eine allgemeine rechtliche Bewertung, nicht aber eine auf einen Einzelfall zielende tatsächliche Feststellung. Eine Bindung an die Auslegung durch das LSG gemäß § 163 SGG besteht daher von vornherein nicht. Zugleich folgt aus der Anwendung der Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB, daß es sich um revisibles Recht handelt (§ 162 SGG).

Im Hinblick auf die generelle und abstrakte Bedeutung der Vereinbarung und der BeschäftigungshilfeRL ist nach den nebeneinander heranzuziehenden Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 BGB vorliegend allein auf den objektiven Erklärungswert der Regelungen abzustellen (vgl zur Differenzierung bei der Auslegung und zu vergleichbaren „Erklärungen an die Allgemeinheit” Heinrichs in Palandt, Komm z BGB, 53. Aufl, § 133 Rzn 7 und 12 sowie § 157 Rz 1). Die sachgerechte Vertragsauslegung hat hierbei nicht bei den „Buchstaben” des Vertragstextes stehenzubleiben. Vielmehr hat sie den gesamten Wortlaut der Vereinbarung, also die einzelne Regelung im Zusammenhang mit anderen, unter Beachtung ihrer Zielsetzung zu würdigen (BVerwGE 84, 257, 264 f). Eine solche Auslegung ergibt, daß die Beklagte und die Vorinstanzen zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Lohnkostenzuschüsse verneint haben.

Gemäß § 1 Abs 3 BeschäftigungshilfeRL besteht kein Rechtsanspruch auf Förderung. Es handelt sich um eine vertraglich ausgestaltete Ermessensleistung. Ein Ermessen der Beklagten besteht – wie bei gesetzlichen Ermessensleistungen – nur auf der Rechtsfolgeseite. Die Tatbestandsvoraussetzungen bzw hier die vertraglich geregelten Voraussetzungen für die Ermessensausübung unterliegen der vollen gerichtlichen Überprüfung.

Ob die Klägerin die Voraussetzungen dem Grunde nach gemäß § 2 Abs 1 BeschäftigungshilfeRL erfüllt hat, läßt sich nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend beantworten. Das LSG hat festgestellt, daß der zum 1. Januar 1990 eingestellte Arbeitnehmer Sch. unmittelbar vor der Einstellung länger als ein Jahr arbeitslos gewesen ist (seit 1. Juli 1988) und daß die Klägerin mit ihm ein Arbeitsverhältnis mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden begründet hat. Ob es sich hierbei – wie § 2 Abs 1 BeschäftigungshilfeRL fordert -um ein unbefristetes oder ein befristetes Arbeitsverhältnis oder um ein vorgeschaltetes befristetes Probearbeitsverhältnis mit einem anschließenden unbefristeten Arbeitsverhältnis gehandelt hat, läßt sich den Feststellungen des LSG nicht entnehmen. Dennoch konnte der Senat von einer Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) absehen. Der Anspruch der Klägerin scheitert in jedem Fall an § 7 Satz 1 BeschäftigungshilfeRL.

Nach dieser Regelung hat der Arbeitgeber den Zuschuß vor Beginn des Arbeitsverhältnisses beim zuständigen Arbeitsamt (ArbA) zu beantragen. Der Wortlaut ist eindeutig. Aus dem Wort „hat” folgt, daß es sich um eine zwingende Voraussetzung handelt, eine verspätete Antragstellung demzufolge eine Leistungsgewährung ausschließt. Die Klägerin hat den Antrag auf Lohnkostenzuschüsse am 26. Februar 1990 gestellt, also fast zwei Monate nach Beginn des Arbeitsverhältnisses. Somit war der Antrag abzulehnen.

Die weiteren Regelungen der BeschäftigungshilfeRL enthalten keine Anhaltspunkte, die eine gegenüber dem Wortlaut des § 7 Satz 1 BeschäftigungshilfeRL abweichende Interpretation rechtfertigen könnten. Sie knüpfen nicht an die Antragsfrist an. In diesem Zusammenhang kann der Senat darauf verzichten, Parallelen zu Antragsfristen in anderen Gesetzen, Verordnungen oder Anordnungen des Verwaltungsrates der BA zu ziehen, die teilweise ebenfalls zwingend, teilweise aber auch als Soll-Vorschriften konzipiert worden sind. Vorliegend geht es um die Auslegung von vertraglichen Regelungen. Die Vertragschließenden bzw der gemäß den §§ 315 oder 317 BGB Bestimmungsberechtigte konnten verbindlich die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung an Dritte gestalten. Welche Bedeutung der Antragsfrist zukommt, beurteilt sich somit allein nach dem objektiven Erklärungswert in dem maßgeblichen Vertragstext.

Wie bereits dargelegt, knüpfen weitere Regelungen der BeschäftigungshilfeRL nicht ausdrücklich an die Antragsfrist an, so daß sich aus ihnen keine weiteren Hinweise für die gebotene Auslegung ergeben. Die in § 1 Abs 1 und 2 BeschäftigungshilfeRL erkennbar gewordene Zielsetzung des Sonderprogramms stützt das aus dem Wortlaut des § 7 Satz 1 BeschäftigungshilfeRL abzuleitende Auslegungsergebnis.

Die Lohnkostenzuschüsse sollen dazu beitragen, die Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser in das Arbeitsleben zu erleichtern. Zu diesem Zweck werden aus Mitteln des Bundes Einstellungen in ein Beschäftigungsverhältnis gefördert, das sonst nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt begründet worden wäre. Mit den Lohnkostenzuschüssen sind Anreize für Arbeitgeber geschaffen worden, Langzeitarbeitslose einzustellen, die wegen ihrer langen Arbeitslosigkeit erfahrungsgemäß nicht von Beginn an eine vollwertige Arbeitsleistung erbringen. Die Zuschüsse nach der „Aktion Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose” haben daher nicht den Charakter einer bloßen Subvention iS einer generellen Einstellungsprämie, sondern sie sind als Kompensation für betriebliche Anstrengungen (Mehraufwand) gedacht, um Langzeitarbeitslose an die Anforderungen des Betriebes heranzuführen (Schmitt, NDV 1990, 342, 347; Bach, SF 1990, 129, 133; ders, ZSR 1990, 399, 420 f; Klems/Schmidt, WSI-Mitteilungen 1992, 448, 454). Die Leistungsgewährung nach den BeschäftigungshilfeRL muß somit zumindest eine Mitursache für die Einstellung sein.

Das Antragserfordernis sichert dem zuständigen ArbA die Möglichkeit der rechtzeitigen Prüfung, ob es sich um eine förderungswürdige Einstellung handelt, die jenen Zielvorstellungen entspricht. Würde man eine verspätete Antragstellung als unschädlich ansehen, wäre es kaum noch möglich, förderungswürdige Fälle von den Fällen abzugrenzen, in denen die Lohnkostenzuschüsse lediglich als – willkommene – Mitnahmeeffekte in Anspruch genommen würden und damit reinen Subventions-, nicht aber Kompensationscharakter hätten. Ob Lohnkostenzuschüsse iS einer Mitursache zur Einstellung eines Langzeitarbeitslosen geführt haben oder ob der Arbeitgeber diesen ohnehin eingestellt hätte, weil er ihn für eine qualifizierte, vollwertige Arbeitskraft gehalten hat, läßt sich für das zuständige ArbA bei einer nachträglichen Antragstellung nicht mehr mit der hinreichenden Sicherheit entscheiden. Sinn und Zweck der Förderung stützen das bereits aus dem Wortlaut des § 7 Satz 1 BeschäftigungshilfeRL gewonnene Auslegungsergebnis. Da Antragserfordernis und Leistungszweck in Einklang stehen, stellt sich auch nicht das von der Klägerin aufgeworfene Problem einer eventuellen Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.

Die Zielvorstellungen machen ferner deutlich, daß die Klägerin sich nicht auf die einem anderen Arbeitgeber gegebene Zusage bzw Bewilligung berufen kann. Ob eine förderungswürdige Einstellung vorliegt, läßt sich nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalles beurteilen. Deshalb muß der Antrag jeweils von dem Arbeitgeber vor Beginn des Arbeitsverhältnisses gestellt werden, der die Lohnkostenzuschüsse begehrt. Die verspätete Antragstellung der Klägerin rechtfertigt damit die Ablehnung.

Zweifelhaft ist, ob wegen der versäumten Antragsfrist die Regelungen über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X herangezogen werden können. § 7 Satz 1 BeschäftigungshilfeRL enthält eine vertragliche, nicht gesetzliche (vgl § 27 Abs 1 SGB X) oder behördliche Frist (vgl insoweit zum Problem der analogen Anwendung Kopp, Komm z VwVfG, 5. Aufl, § 32 Rz 9). Selbst bei einer grundsätzlich für zulässig angesehenen Analogie dürfte § 27 Abs 5 SGB X der Anwendung entgegenstehen. Der Wortlaut des § 7 Satz 1 BeschäftigungshilfeRL spricht iVm den erkennbaren Zielvorstellungen des Sonderprogramms gegen die Zulässigkeit einer Wiedereinsetzung. Anderenfalls würde der mit der vorherigen Antragstellung verfolgte Zweck ad absurdum geführt werden. Des weiteren wäre nicht erkennbar, daß die Frist des § 27 Abs 2 SGB X gewahrt worden wäre. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist von der Klägerin im Februar 1990 nicht ausdrücklich gestellt worden. Auch wenn die Beklagte Wiedereinsetzung ohne Antrag hätte gewähren können (§ 27 Abs 2 Satz 4 SGB X), ist nicht dargelegt worden, daß die tatsächliche Antragstellung am 26. Februar 1990 innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (§ 27 Abs 2 Satz 1 und 3 SGB X) erfolgt ist. Aber selbst wenn man sich über all diese Bedenken hinwegsetzen würde, würde eine Wiedereinsetzung am Verschulden der Klägerin bzw ihrer gesetzlichen Vertreter scheitern (§ 27 Abs 1 SGB X). Das LSG hat zutreffend dargelegt, daß die Klägerin – ihr Vorbringen als richtig unterstellt – sich im Dezember 1989 nicht auf Angaben des Versicherten hätte verlassen dürfen, sondern selbst mit dem zuständigen ArbA hätte Kontakt aufnehmen müssen.

Offenlassen kann der Senat, ob seit Inkrafttreten des § 27 SGB X das frühere, von der Rechtsprechung entwickelte Institut der Nachsichtgewährung weiterhin angewandt werden kann (vgl hierzu BSG SozR 3-1200 § 14 Nrn 9 und 12; SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 7; BSGE 64, 153, 157 = SozR 1300 § 27 Nr 4). In jedem Fall scheitert eine Anwendung zugunsten der Klägerin wiederum daran, daß sie nicht unverschuldet an der rechtzeitigen Antragstellung gehindert war.

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch scheidet – wie das LSG zutreffend ausgeführt hat – schon deshalb aus, weil nicht erkennbar ist, inwiefern die Beklagte fehlerhaft gehandelt und die Klägerin unzureichend informiert haben sollte.

Nach alldem konnte die Revision keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1174528

BB 1995, 626

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